Süßer König Jesus (German Edition)

Pferdeschwanz kaum hinterherkam. Luke hatte diesen Blick, er konnte einen nicht direkt anschauen – immer sah er haarscharf rechts oder links an einem vorbei, als stünde man neben sich.
    »Woher weiß man, welches ein Männchen und welches ein Weibchen ist?«, fragte ich.
    »Man sperrt zwei zusammen und schaut, ob sie versuchen, einander umzubringen«, sagte die Frau. »Deshalb hab ich sie so gestapelt – wenn die Männchen ein anderes Männchen auch nur zu sehen bekommen, drehen sie durch. Sie flattern wild und plustern sich auf.«
    Elise sagte: »Danke, dass wir sie sehen durften.«
    »Kommt, wir lassen sie fliegen«, sagte die Frau.
    »Vielleicht später?«, sagte meine Schwester. »Wir sind gerade erst angekommen und müssen noch unsere Sachen auspacken.«
    »Ich hab sie im Badezimmer trainiert, und jetzt kann ich sie überall fliegen lassen. Sie fliegen nicht weg, selbst wenn ich die Tür offen lasse. Wenn’s mir nicht gut geht, dann landen sie auf meiner Brust. Und dann schauen mich an, als wollten sie fragen: Dodo, geht’s dir gut da drinnen, Dodo? Es sind sehr intuitive Tiere.«
    »Vielleicht später«, sagte Elise.
    »Wir sind hier«, sagte die Frau. »Wir gehen nirgendwo hin, stimmt’s, Luke? Wir wollten gerade eine Kleinigkeit essen.«
    Elise bedankte sich noch etwa vierzehn Mal, dann gingen wir zurück auf unser Zimmer. Meine Schwester konnte mit den bizarrsten Gestalten, obdachlosen Männern an Bushaltestellen, Kaffee-Baristas mit blauen Haaren, adipösen Frauen, traurigen alten Männern, und sie machte sich hinterher niemals lustig. Mir fiel mein Horoskop von vor ein paar Tagen ein, ich solle Fragen stellen, hatte da gestanden, und ich hatte fast niemanden irgendetwas gefragt. Ich hätte die Frau fragen sollen, wie sie auf Vögel gekommen war, oder irgendwas zum Paarungsvorgang – ob sich Männchen und Weibchen auf jeden Fall mochten oder ob es eine Sache auf Gedeih und Verderb war? Oder ich hätte fragen können, woher sie kamen und wohin sie weiterreisten. Es schien absurd, dass wir alle nur aus dem einen Grund in der Welt herumfuhren: weil es möglich war – Autos und Flugzeuge und Schiffe transportierten die Menschen von einem Ort zum anderen, als würden wir nicht alle sterben.
    ***
    Elise stand am Schreibtisch und klappte die Hotelmappe auf.
    »Wieso wolltest du sie eigentlich nicht fliegen sehen?«
    »Weil dieser Typ mir gruslig war«, sagte sie. »Fandst du ihn nicht gruslig?«
    »Schon.«
    »Ein echtes Ekel.«
    »Wahrscheinlich ein Parkhaus-Pfeifer«, sagte ich.
    Sie nahm ihr Handy und bestellte einen Veggieburger mit Zwiebelringen, eine Cola light und ein Stück Apfelkuchen.
    Wenn sie nicht nach dem Apfelkuchen gefragt hätte, hätte ich vielleicht geglaubt, sie habe tatsächlich mit jemandem gesprochen. Kuchen aß sie nie.
    »Du hast gar nichts bestellt!«, sagte ich.
    »Eigentlich will ich einen Cheeseburger. Das heißt, eigentlich glaube ich, es ist das Kind, das einen Cheeseburger will.« Sie stand vor dem Spiegel und sah sich prüfend um, ob das Zimmer für ihre Sprünge groß genug wäre.
    »In einer Minute ruf ich den Zimmerservice wirklich an. Was willst du?«
    Sie sprang einen Herkie und gleich darauf noch drei hintereinanderweg; es sah so mühelos aus, so leicht, dass ich glaubte, ich könnte es auch.
    »Hast du schon mal bemerkt, dass dünne Leute immer Vanille nehmen und dicke Leute Schokolade? Und total dünne nehmen Erdbeer. Ich sollte wahrscheinlich Erdbeer bestellen, dann würde ich schlank werden.«
    »Glaub ich nicht, dass das funktioniert«, sagte sie.
    »Wäre ein Anfang«, sagte ich. »Immerhin was.«
    »Außerdem bist du nicht fett, nur ein bisschen plump.«
    »Ich will nicht plump sein – ein scheußliches Wort, sag das nie wieder zu mir.« Ich stellte meine Tasche aufs Bett und begann, darin herumzuwühlen. Ich vermisste meine Sachen. Ich vermisste unser Haus, mein Bett. Zu Hause wären Elise und ich jetzt draußen auf dem Trampolin. Sie würde darauf bestehen, dass ich einen Flickflack machte, würde Hilfestellung geben und in letzter Sekunde ihre Hände wegziehen, damit sie mir hinterher erzählen könnte, ich hätte es allein geschafft. Das Kind wäre längst nur noch ein böser Spuk, und ich würde nie wieder davon anfangen, auch nicht, wenn wir beide alt wären, und auch nicht, wenn ich sauer auf sie wäre.
    Sie wählte den Zimmerservice an und bestellte einen Veggieburger und Pommes. »Erdbeer?«, fragte sie.
    »Einen Eisbecher mit heißer Schokosauce und