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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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wir?«, fragte ich. »Es ist früh.«
    »Ich frag mal nach den Preisen«, sagte er, stieg aus und nahm die Schlüssel mit. Sein Gang war so federnd wie schon seit Tagen nicht mehr. Keiner sagte was, wir sahen nur zu, wie er durch die Tür schritt.
    »Sieht gut aus hier«, sagte ich.
    »Ja, aber nur, wenn man auf diese gigantischen Kasino-Resorts steht«, sagte Elise. »Tu ich ja, versteh mich nicht falsch. Die sind tausendmal besser als alles, wo wir sonst absteigen.«
    »Was läuft hier eigentlich?«, fragte ich.
    »Wo läuft was?«, sagte unsere Mutter.
    »Sie meint nur, weil wir gestern in einem Ghetto-Motel übernachtet haben und jetzt hier in diesem Luxus-Teil sind«, sagte Elise.
    »Nein, ich meine, warum halten wir so früh. Er wollte doch bis Kalifornien.«
    »Er will spielen«, sagte Elise. »Er kann’s kaum erwarten, Hand an die Automaten zu legen.«
    »Er wird nicht spielen«, sagte unsere Mutter, obwohl wir wussten, er würde das Kasino betreten, und die Lichter und Geräusche würden etwas in seinem Gehirn auslösen, und dann würde er stundenlang dasitzen und die Maschinen mit Zwanzig-Dollar-Scheinen füttern. Seit Jahren schlich er sich in das indianische Kasino auf der Eddie Tullies, diese beige Monstrosität, die ebenso gut ein Krankenhaus doubeln könnte.
    »Er spielt doch andauernd«, sagte Elise. »Jeder weiß, dass er spielt.«
    »Gar nichts weiß jeder«, sagte unsere Mutter. »Ich hab’s keinem gesagt, und du solltest das auch nicht tun. Das geht keinen was an.«
    »Wir sind nicht wie ihr«, sagte Elise. »Wir wollen nicht so leben.«
    »Wie?«
    »Mit Lügen und so – so tun, als hätten wir Geld, und haben gar keins, als seien wir diese perfekten Christen, die nie etwas falsch machen.«
    »Das ist keine Lüge.«
    »Eine Täuschung«, sagte Elise.
    »Es ist unser Ruf«, sagte unsere Mutter.
    »Mein Ruf ist mir egal.«
    »Das sieht man«, sagte unsere Mutter – möglicherweise das Gemeinste, was ich sie je zu meiner Schwester habe sagen hören.
    Elise legte eine dramatische Pause ein und sagte: »Tut mir leid, dass ich nicht die Tochter bin, die du dir gewünscht hast.«
    Ich griff eine leere Popcorntüte, stopfte sie mit Bonbon- und Kaugummipapierchen und gab sie weiter. Meine Mutter nahm sie und hielt sie fest. Mutter zu sein war sicher kein Vergnügen, alle luden ihren Müll bei dir ab und wollten ständig was, aber mit keinem konnte man eigene Probleme besprechen. Sie konnte nie irgendetwas Schlechtes über unsere Familie sagen. Und die eigenen Probleme nur ansprechen, indem sie über die Probleme anderer sprach.
    »Tut mir leid, dass du das empfindest«, sagte meine Mutter. »Es ist nicht wahr.«
    Elise schwitzte stark, ihre Hände klammerten sich an ihren Bauch. Ich überlegte, wie weit sie war. Ich wunderte mich, dass ich keine Ahnung hatte, wann das Baby gezeugt worden war; vielleicht war sie seit ein paar Wochen schwanger, vielleicht auch seit mehreren Monaten. Vielleicht war sie schon so weit fortgeschritten, dass eine Abtreibung nicht mehr möglich war. Was dann? Ich stellte mir vor, wie ich sie in eine Klinik brachte, die irgendjemand privat eingerichtet hatte, eine Frau zog sie hektisch ins Haus und knallte mir dann die Tür ins Gesicht, so was hatte ich mal in einem Dokumentarfilm gesehen. Ich kannte nur, was ich im Fernsehen sah, sonst nichts, und diese Informationen brachten mir nichts. Ich schaute ja die Naturfilme nicht mit dem Gedanken an, dass ich eines Tages womöglich selbst in der Wildnis verloren gehen könnte und was für Zeug ich dann zum Überleben bräuchte. Als ich darüber nachdachte, fiel mir der fette Hippie ein, der sagte, ich solle nichts Grellfarbiges essen, alles Grellfarbige sei normalerweise giftig. Sollte ich also je hungrig sein und ein neongrünes Insekt unter einem Stück Holz finden, würde ich nie den Fehler begehen, es zu essen.
    Unser Vater stieg wieder ins Auto. »Ihr habt euer eigenes Zimmer«, sagte er und gab uns die Schlüsselkarte. »Die letzte Nacht, da dürfen wir ruhig ein bisschen Spaß haben.«
    »Das haben die 9/11-Entführer auch gedacht«, sagte Elise. »Haben getrunken und sich eine Stripshow angeschaut, und dann haben sie ein Exemplar des Korans an der Bar hinterlassen.«
    »Ich hoffe, du wirst auch bei uns sein«, sagte unser Vater, als er sich anschnallte.
    »Nur keine Bange.«
    »Das hoffe ich wirklich.«
    Er fuhr durch ein Labyrinth leerer Parzellen und parkte ein. Auf einem Schild stand Kein Übernacht-Parken , also setzte er

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