Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
Vom Netzwerk:
paar Wochen am Küchentisch sitzen würde: Es riecht nach dem Schmorbraten, von dem wir schon seit Tagen essen. Und mein Vater öffnet die Kreditkartenabrechnung. Meine Mutter ermahnt uns, alle alten Klamotten einzutüten für die Ultcheys und die anderen Familien, die ihr ganzes Geld weggegeben haben, als hätten sie unsere abgetragenen Klamotten nötig, wo doch mein Vater ihnen versicherte, dass wir alle bald im Himmel seien, weil dieses Leben nicht das sei, das Er für uns bestimmt habe. Ich fragte mich, ob er selbst wirklich daran glaubte, ob er je geglaubt hatte. Der Hilfskellner brachte einen weiteren Korb Brot, und mein Vater brach sich ein Stück ab. Er beschmierte es dick mit Butter und ließ es sofort auf sein Hemd fallen.
    »Scheinbar kann ich kaum etwas essen, ohne mich einzusauen«, sagte er und tunkte seine Serviette in sein Eiswasser. Ich sah zu, wie er so lange an seinem Hemd herumrubbelte, bis ein großer nasser Fleck an seiner Brust klebte. Die Salate kamen, und wir spießten die kleinen Salatblätter auf. Ich trank das letzte Schlückchen Wein aus meinem Glas und bat nicht um mehr. Nach einer Weile versuchte meine Mutter ein kleines, fröhliches Gespräch, doch weder mein Vater noch ich gingen darauf ein. Es war wahrscheinlich das stummste Abendessen meines Lebens. Mein Vater betete nicht einmal, als die Steaks und die Lobsterschwänze serviert wurden.
    Nach dem Essen nahm ich meine Mutter beiseite und fragte sie nach Bruder Jessies Nummer. Ich hatte schon eine Antwort parat, aber sie fragte nicht nach, nahm nur ihr Handy heraus und las sie mir vor.
    ***
    Als ich ins Zimmer zurückkam, war Elise nicht da. Auf dem Tisch lag ein Zettel: Komm in die Irish Bar. Du kannst mein blaues Kleid anziehen.
    Ich saß auf dem Bett und starrte auf Bruder Jessies Nummer. Obwohl ich ihn zweimal die Woche in der Kirche traf, und manchmal auch samstags zum Frühstück in unserer Küche, hatte ich noch nie einen Grund gehabt, ihn anzurufen. Es machte mich nervös, mit Leuten am Telefon zu sprechen, mit denen ich gewöhnlich nicht telefonierte.
    Ich drückte die Wahltaste. Nach dem zweiten Klingeln nahm er ab.
    »Bruder Jessie?«, sagte ich. »Hier ist Jess Metcalf.«
    »Jess«, sagte er, »schön, von dir zu hören. Wie geht’s dir?«
    »Gut.«
    »Freut mich, dich zu hören«, sagte er. Seine Stimme klang verändert. Am Telefon klingt jeder anders; jeder spricht mit seiner Telefonstimme. »Erzähl. Was ist los?«
    »Wir sind in Arizona. Irgendwo in der Nähe von Phönix, glaube ich.«
    Er gab einige affirmativ klingende Laute von sich, also redete ich ein bisschen weiter – erzählte, wie es sich anfühlte, schon so lange unterwegs zu sein, und dass alles nicht so super lief. Ich erzählte ihm von dem Unfall und von unserem Platten. Er sagte, das sei eben so beim Autofahren, Unfälle und platte Reifen seien nichts Ungewöhnliches.
    »Es war aber ein sehr schlimmer Unfall«, sagte ich. »Ein Mann ist gestorben. Ich habe seinen Hals berührt, versucht den Puls zu spüren, aber da war nichts.«
    »Oh!«, sagte er.
    »Und es gab ein kleines Mädchen. Ich glaube, sie lag im Koma.« Ich hätte am liebsten geweint, doch wenn ich jetzt anfinge, würde ich vielleicht nie wieder aufhören. Ich würde um alle weinen, die ich kannte, um jeden, der je Pech gehabt hatte oder ein Leben voller Härten lebte. Ich würde um Tammy weinen und um die Vogel-Frau und das Las-Vegas-Mädchen, um meine Mutter und meinen Vater und das Baby, das Elise nie bekommen würde, und um meine Cousine, die gestorben war, bevor sie herausgefunden hatte, was es heißt, zu leben.
    »Wir alle beten für euch«, sagte er. »Die ganze Gemeinde.«
    »Danke schön.«
    »Was ihr macht, ist gut.«
    »Vielen Dank«, wiederholte ich. Und dann: »Wieso? Warum gut?«
    Er nahm einen Schluck, was immer es war, in seinem Glas hörte ich das Eis klirren. »Ihr verkündet das Wort«, sagte er.
    »So intensiv haben wir das Wort nicht verkündet.«
    »Ich bin sicher, ihr tut, was ihr könnt.«
    »Nein«, sagte ich. »Wir haben kaum mit Leuten geredet.«
    »Vielleicht glaubt euer Vater, im Moment sei es das Beste, euch auf euch zu konzentrieren.«
    »Ich weiß nicht, was wir tun. Ich fühle mich irgendwie verloren«, sagte ich. Ich wollte ihm alles erzählen, ich wollte von ihm hören, dass ich okay sei, dass wir okay seien, aber von ihm kam nichts. Wahrscheinlich war er enttäuscht. Vielleicht wütend.
    »Es klingt, als ob du kurz vor einem Durchbruch stehst«, sagte er,

Weitere Kostenlose Bücher