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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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war so vieles nicht, dass ich tatsächlich Schwierigkeiten hatte, mich selbst zu definieren, vor allem im Verhältnis zu Elise, die so vieles war.
    Mein Vater bestellte eine Flasche Rotwein und bat den Kellner um vier Gläser.
    »John«, sagte meine Mutter. »Die Kinder trinken nicht.«
    »Das ist ein besonderer Anlass«, sagte er. »Nur zum Anstoßen.«
    »Nein, das geht auf keinen Fall«, sagte sie.
    Der Kellner kam mit einer Flasche zurück und goss einen Schluck Wein in das Glas meines Vaters, wartete darauf, dass er einen Schluck davon nehme.
    »Probier doch«, sagte Elise, und er tat es und nickte angetan.
    Der Kellner ging um den Tisch herum, goss jedem von uns ein viertel Glas ein.
    »Wir können dann bestellen«, sagte mein Vater.
    »Ich hab noch nicht mal die Speisekarte aufgeklappt«, sagte Elise. Der Kellner stellte die Flasche ab und sagte, er werde in ein paar Minuten wieder da sein. Elise nahm die Flasche und füllte ihr Glas. Sie füllte auch meines. Meine Mutter gab mir ihres, wir tauschten. Kaum wurde es wieder still im Speisesaal, war das Surren in meinen Ohren wieder da. Es war auf eine merkwürdige Art angenehm.
    »Es gibt ziemlich viel zu feiern«, sagte mein Vater. »Morgen fahren wir nach Hause.«
    Elise und ich sahen einander an. Zuhause, das war Montgomery. Zuhause, das war unser Haus und unsere Schule und unsere Freunde und unser Hund. Das waren die Klamotten in den Einbauschränken und die Jungs, mit denen meine Schwester ging, und die Nachbarschaft, in der wir mitten auf der Straße Rad fuhren, weil es so gut wie keine Autos gab.
    »Du meinst Alabama?«, sagte Elise.
    »Er meint den Himmel«, sagte ich, griff nach dem Brotkorb und stieß dabei mein Glas um.
    Der Wein ergoss sich über das weiße Tischtuch, bildete Pfützen auf meinem Teller.
    »Na prima«, sagte Elise.
    »Jess«, sagte mein Vater, als hätte ich alles kaputt gemacht, als sei alles super gelaufen, bis eben jetzt. Er wurde wütend, wenn ich etwas verschüttete oder zu schnell trank und das Wasser in die falsche Kehle bekam. Scheinbar glaubte er, ich tue das alles mit Absicht.
    Der Hilfskellner trug meinen Teller ab, brachte ein Handtuch, versuchte zu tupfen, doch alles leuchtete rot, wie Blut.
    Mein Vater seufzte und schlug die Speisekarte auf. »Bestellt, worauf ihr Lust habt«, sagte er.
    »Kann ich dich was fragen?«, fragte Elise. Nach dieser Frage kam nie etwas Gutes. Nie, wie wär’s mit einer Portion Eis? Oder, es läuft ein guter Film. Wollen wir ihn uns nicht alle zusammen ansehen?
    »Um was geht’s?«, fragte er.
    »Wie bezahlen wir diese Reise?«, fragte sie.
    »Mit dem, das wir genau dafür gespart haben«, sagte er.
    »Wir wissen, dass du deinen Job verloren hast«, sagte sie, und dabei fiel mir ein, wie wir, als mein Vater den Job bekommen hatte, zu Abend gegessen hatten, es war genau wie jetzt: weiße Tischdecken, eine Mammut-Speisekarte, und: bestellt, worauf ihr Lust habt .
    »Kann ich Lobster bestellen?«, fragte ich.
    »Dein Vater hat gesagt, du kannst bestellen, was du magst«, sagte meine Mutter.
    »Außerdem geht dich das gar nichts an. Ich kümmre mich hier um die Finanzen«, sagte mein Vater.
    »Du bist also morgens aus dem Haus gegangen und direkt in den Park?«, fragte Elise. »Oder in die Bibliothek?«
    Mit Aktentasche konnte ich ihn nicht erinnern.
    »Du verlässt jetzt sofort diesen Tisch«, sagte er. »Und deine Visage will ich für heute nicht mehr sehen.« Er sagte Visage in einem so bösen Ton, als habe er noch nie etwas Schrecklicheres gesehen.
    »Und dass du ja in deinem Zimmer bleibst«, sagte meine Mutter. »In einer halben Stunde komme ich hoch und schau nach.«
    Meine Schwester trank ihren Wein aus und legte die Hände auf die Tischkante, als wolle sie ihn wegschieben. Dann stand sie einfach auf und ging, während der Kellner herüberkam, um unsere Bestellung aufzunehmen. Lächelnd stand er da, und wir alle so verkrampft, ich spürte seine Verlegenheit. Er trat von einem Fuß auf den andern, fragte, ob er lieber später wiederkommen sollte. Irgendetwas daran war richtig befriedigend – er war kein Teil von uns, gehörte nicht dazu. Wir waren gemeinsam unglücklich, verzweifelt sogar – aber das gehörte uns.
    »Nein, wir sind so weit«, sagte mein Vater. Dann schaute er meine Mutter an und fragte, was sie wollte. Sie bestellte das Surf and Turf mit Salat und einer überladenen Baked Potato, und wir restlichen folgten ihrem Beispiel.
    Ich stellte mir meinen Vater vor, wie er in ein

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