Sueßer Tod
gegenüber hat Veronica kein Wort von der ganzen Sache verlauten lassen«, sagte Kate. »Für mich klang sie so, als hätte jeder das Wohlergehen der anderen zutiefst am Herzen gelegen.«
»So möchte sie es heute gern sehen. Ich habe mich ein wenig in den Rechtsstreit der beiden vertieft. Der Fall war sehr interessant und hat mir Einblick 60
in die erstaunlichen Winkelzüge des Urheberrechts verschafft. Da geschehen täglich ganz unwahrscheinliche Dinge, von denen man normalerweise, solange man nicht darauf gestoßen wird, keine Notiz nimmt. Ich rief meinen Rechtsbeistand an; sie arbeitet in einem der großen Büros in der City und sie sagte mir…«
»Archer, mit welch wundervoller Selbstverständlichkeit Sie das ›sie‹ gesagt haben. Kein Wunder, daß alle Frauen Sie lieben.«
»Sie sagte« (und daß Archer weder in Tonfall noch Worten auf ihre Bemerkung einging, war typisch für ihn, dachte Kate. Der wahre Konversationskünstler greift gewisse Dinge nicht auf), »der Fall sei in gewisser Weise ein kleiner Meilenstein in der Geschichte des Urheberrechts gewesen; dann verwies sie mich auf die einschlägigen Quellen. Sie können sich nicht vorstellen, wie kompliziert die Paragraphen über Urheberrechtsverletzungen sind, von der Frage der Autorenschaft ganz zu schweigen. Es gibt einen wundervollen Gerichtsentscheid über Sherlock Holmes. Aber bleiben wir bei der Sache. Wo waren wir gerade?«
»Kommen Sie mit zu mir«, sagte Kate, »und ich gieße Ihnen einen Kognak ein.
Wir müssen über Veronica sprechen. Und den neuaufgefundenen Tagebuchteil. Ich hoffe, Sie haben ihn bei sich.«
»Als nächstes«, sagte Archer, »werden Sie uns vor Gericht schleppen und Ihre Mitautorenschaft an Patrices Biographie einklagen.«
»Wie einmal jemand unter völlig anderen Umständen sagte: verdammt unwahrscheinlich. Wollen wir ein Taxi nehmen oder laufen?«
Während sie den Kognak in ihrem Schwenker in sachte Bewegung versetzte, was ihr, um die Wahrheit zu sagen, mehr Genuß bereitete als der Kognak selbst, fühlte Kate eine eigenartige Zufriedenheit in sich aufkommen. Heute ist mein juristischer Tag, dachte sie: Reed ist auf dem Weg zu seiner Karriere im Strafrecht, Archer auf dem Weg zum Experten im Urheberrecht. »Ich weiß, wir sollten über Veronica reden«, sagte sie, »aber es macht mich doch neugierig, mehr von ihrem Rechtsstreit gegen Patrice zu hören. Ihre Motive interessieren mich dabei weniger als was sie genau einklagte. Das Warum kann warten.«
»Endlos über all die Anekdoten zu plaudern, die sich in Urheberrechtsverfahren ereignen, ist wirklich sehr verlockend. Wer hätte gedacht, daß die trockene Jurisprudenz so amüsant sein kann?« Auch Archer schwenkte den Kognak und schnupperte von Zeit zu Zeit an seinem Glas. »Nun, meine Liebe, wappnen Sie sich: Sie werden fasziniert sein. Eines müssen Sie jedoch immer im Kopf behalten: den Unterschied zwischen Urheberrechtsverletzung und dem Anspruch auf Mitautorenschaft. Sind Sie bereit?«
»Ganz und gar«, sagte Kate. »Aber trotzdem habe ich das Gefühl, daß solche Themen – wie ja auch die neuesten kritischen Theorien – vormittags leichter zu verstehen sind als am späten Abend.«
»So schlimm wird es nicht werden. Beispiel: Sheldon gegen MGM. Die 61
Auffassung von Richter Learned Hand revidierte die Auffassung der ersten Instanz. Hatte der Film über den Fall Madeline Smith, die Frau aus Glasgow, die ihren Liebhaber vergiftete oder vielleicht auch nicht vergiftete, das Urheberrecht von jemand verletzt, der ein Theaterstück über das Thema geschrieben hatte?
Vergessen Sie nicht, daß man auf eine Handlung oder eine Idee keinen Urheberschaftsanspruch erheben kann. Richter Hand war der Auffassung, die Urheberschaft sei nicht verletzt worden. Fakten seien Fakten, und es sei durchaus zulässig, daß mehrere Autoren sich desselben Ereignisses bedienten, um es, jeder auf seine Weise, literarisch oder dramatisch zu verarbeiten. Zweites Beispiel: ›Die Sieben-Prozent-Lösung‹. Sherlock Holmes, Freud, Kokain: guter Film, gutes Buch.
Die Idee, diese drei Elemente zu kombinieren hatte als erster ein Arzt, der das in einem Artikel in einer medizinischen Zeitschrift tat. Der Autor von ›Die-Sieben-Prozent-Lösung‹ gab in seinem Buch den Artikel als Referenz an. Der Arzt behauptete, sein Urheberrecht sei verletzt worden: Keineswegs, lautete die gerichtliche Entscheidung: auf eine Idee oder gar auf Figuren wie Sherlock Holmes oder Freud gebe es keinen
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