Süßer Tod
»Eins muss man dem alten Raley lassen. Er ist vielleicht nicht stabil, aber er ist auch nicht blöd, das steht fest.«
Miranda meinte gereizt: »Die Richterin wird ihm doch bestimmt keinen Termin bei Cobb Fordyce verschaffen.«
George hätte schwören können, dass ihre Augen kurz ängstlich geflackert hatten. Obwohl er überzeugt war, dass sie sich nur um ihren eigenen süßen Arsch und nicht um seinen sorgte. »Sie hat gesagt, dass sie es nur ungern täte, vor allem diese Woche, da hätte sie schon genug um die Ohren. Sie wollte ihn vertrösten. Ohne Erfolg.«
»Sie treibt schon jetzt ihre politischen Spielchen«, grummelte Les. »Warum hat sie nicht einfach aufgelegt?«
»Das habe ich sie auch gefragt«, sagte George. »Weil sie befürchtet, dass er etwas Verrücktes anstellen könnte, wenn sie ihm dieses Treffen mit Cobb verweigert.«
»Was zum Beispiel?«
George zuckte wieder mit den Achseln. »Vielleicht würde er sich mit ein paar Dynamitstäben an Cobbs Schreibtisch ketten. Was weiß ich. Darum hat sie mich gefragt, ob ich Raley für geistig und emotional stabil halte.«
»Was hast du geantwortet?«, fragte Les.
»Ich glaube, dass Gannon der Vernünftigste von uns allen war. Der Anständigste auch. Jay meinte, er sei schon immer Idealist gewesen und hätte sich dauernd für irgendwelche Verlierer eingesetzt. Nannte ihn hinter seinem Rücken Sankt Raley.
Aber gleichzeitig ist Gannon stinksauer. Er könnte jeden Moment in die Luft gehen, nachdem seit Jahren dieser selbstgerechte Zorn in ihm brodelt.« Wieder erstickte er ein Lachen. »Aber andererseits könnte das jeder von uns.«
»Was wird sie deiner Meinung nach unternehmen?«, fragte Miranda.
»Candy? Schwer zu sagen.«
»Sie wäre verrückt, es auch nur zu erwägen«, blaffte Les. »Das könnte katastrophale Folgen für sie haben. Hat sie vergessen, dass sie selbst Fordyce damals beschwatzt hat, Gannon wegen des toten Mädchens nicht vor Gericht zu bringen? Will sie diesen dunklen Fleck auf ihrer Richterrobe wirklich ans Licht zerren? Ausgerechnet in dieser Woche?«
»Nein, das will sie ganz bestimmt nicht. Aber sie fürchtet sich eher davor, was Raley tun könnte, wenn er nicht mit Cobb sprechen kann, als davor, was passiert, wenn er es darf. Wenn er das Kapitol zu stürmen versuchte, würde das wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregen als ein Gespräch hinter verschlossenen Türen.«
An seiner Unterlippe zupfend marschierte Les auf der Terrasse auf und ab. »Hast du mit Fordyce gesprochen, seit er hier angerufen hat?«
»Nein. Er hat am nächsten Tag noch einmal bei mir im Büro angerufen, aber ich habe nicht zurückgerufen. Es gab nicht mehr zu sagen. Aber wenn ihn Bill Alexanders Erklärung, dass Jay eine Beichte auf dem Totenbett ablegen wollte, schon so aus der Fassung gebracht hat, will ich mir gar nicht vorstellen, wie er reagiert, wenn Raley das gleiche Lied anstimmt. Er könnte in Panik geraten.«
George wurde ganz übel bei der Vorstellung, was das für Konsequenzen haben könnte. Bis jetzt hatte er geglaubt, die Katastrophennachricht des Tages wäre, dass sich Raley und Britt Shelley zusammengetan hatten. Miranda war ausgeflippt, als er es ihr erzählt hatte, und hatte wissen wollen, wie so etwas möglich sei.
Genauso hatte Les reagiert. George hatte ihnen beim besten Willen keine Erklärung liefern können.
Müde massierte er sich die Stirn. »Dieses Arschloch Jay. Das ist allein seine Schuld. Warum musste er plötzlich Britt Shelley anrufen? Etwas Dämlicheres hätte er wirklich nicht anstellen können.«
»Hör auf zu winseln«, zischte Miranda und sah ihn wütend an. »Wir müssen etwas unternehmen, George. Das habe ich dir schon einmal gesagt, und es war mir ernst. Ich habe keine Lust, in deinem Dreck zu versinken.«
»Du steckst genauso tief drin wie ich«, brüllte er sie an. »Genau wie dein lieber Daddy.«
Ihr Gesicht versteinerte, und er hätte Eiszapfen von ihrer Stimme schlagen können. »Wir wissen nicht, was du damit meinst. Worin sollen wir genau stecken?«
»Netter Versuch, Miranda«, sagte George leiser. »Aber du möchtest doch nicht wirklich, dass ich es ausspreche, oder? Du vielleicht, Les?«
Statt einer Antwort stellte sie sich neben ihren Vater, und beide sahen ihn so an wie an jenem Tag, an dem er Miranda geheiratet hatte. In der St. Philip’s Church in der Innenstadt. Alles, was Rang und Namen hatte, war gekommen. Ein Dutzend Brautjungfern. Lastwagenweise Blumen. Miranda in einem Designerkleid, das
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