Suesses Gift Der Liebe
großen, in die Steinmauer des alten Hauses eingefügten Gewölbe.
Das an die Bibliothek anschließende Labor war mit modernsten Apparaturen ausgestattet. Er war kein psychisch begabter Wissenschaftler; seine wahren Talente lagen in einer anderen Richtung, doch er war sehr wohl imstande, eine Vielzahl von Experimenten durchzuführen und die verschiedenen
Instrumente und Geräte auf dem Arbeitstisch zu benutzen.
Immer schon hatten ihn die Geheimnisse des Paranormalen angezogen. In letzter Zeit aber war aus seinem einstmals rein intellektuellen Interesse etwas geworden, das seine engen Angehörigen und Freunde als krankhafte Besessenheit ansahen.
Es läge ihm im Blut, wurde gemunkelt; in dieser Jones-Generation wäre er der wahre Erbe des brillanten, aber düster-exzentrischen Sylvester. Man zeigte sich besorgt, dass das Verlangen des Gründers nach verbotenem Wissen an Calebs Zweig des Familienstammbaums übergegangen wäre, eine dunkle Saat, die nur darauf wartete, in fruchtbarem Boden Wurzel zu schlagen.
Die gefährliche Pflanze gedieh nicht in jeder Generation, hieß es. Laut Familienlegende hatte sie sich nach Sylvester nur einmal gezeigt, nämlich bei Calebs Urgoßvater Erasmus Jones. Erasmus war mit einem Talent wie Caleb geboren worden. Keine zwei Jahre nachdem er geheiratet und einen Sohn gezeugt hatte, zeigte er plötzlich exzentrische Neigungen. Bald war er dem Wahnsinn verfallen, bis er sich schließlich das Leben nahm.
Caleb wusste, dass man im Jones-Clan glaubte, die Veränderungen, die an ihm wahrzunehmen waren, hätten mit der Entdeckung von Sylvesters Gruft und den darin enthaltenen Aufzeichnungen alchemistischer Geheimnisse eingesetzt. Nur er und sein Vater kannten jedoch die Wahrheit. Es war in der ausgedehnten und psychisch starken Familie Jones noch immer möglich, ein Geheimnis zu bewahren, wenn man es nur fest genug hütete.
Er durchschritt das Regallabyrinth mit den alten Lederfolianten und blieb vor dem kalten Kamin stehen. In der Nähe der Feuerstelle befanden sich eine Liege und zwei Sessel. Meist schlief er hier und nahm seine Mahlzeiten ein. Und hier empfing er auch seine spärlichen Besucher. Die anderen Räume benutzte er kaum. Die meisten Möbelstücke im Haus steckten unter Staubhüllen.
Auf einem kleinen Tisch standen eine Karaffe und zwei Gläser. Er goss sich einen Schluck Brandy ein und trat ans Fenster, um in die dunkelste Nachtstunde hinauszustarren.
Seine Gedanken führten ihn zurück in eine andere stockdunkle Nacht und an das Bett seines Vaters, von dem alle geglaubt hatten, es wäre sein Totenbett. Fergus Jones hatte alle fortgeschickt, die bei ihm wachten - Pflegerin, Angehörige, Dienerschaft - alle bis auf Caleb.
»Komm näher, mein Sohn«, sagte Fergus damals matt und heiser.
Caleb, der am Fußende des Bettes gestanden hatte, trat nun an die Seite seines Vaters, noch immer wie betäubt von der Plötzlichkeit, mit der die Krise gekommen war. Bis vor drei Tagen war sein Vater ein rüstiger und gesunder Mann von sechsundsechzig gewesen, dem nur seine Gelenke ein wenig zu schaffen machten, ein Leiden, dem er mit Salicin zu Leibe rückte. Wie so viele Jones war er Jäger und hatte sich immer einer kräftigen Konstitution erfreut, so dass er wie sein eigener Vater auch ein hohes Alter erwarten durfte.
Caleb hatte Gabe geholfen, den Diebstahl der Formel des Gründers aufzuklären, als ihn die Nachricht ereilte, dass sein Vater von einer plötzlichen Lungenentzündung aufs Krankenlager
geworfen worden war. Er hatte es seinem Vetter überlassen, die Ermittlungen allein fortzuführen, und war auf das Familiengut geeilt.
Trotz seiner Beunruhigung hatte er in Wahrheit erwartet, sein Vater würde sich erholen. Erst als er das ernste, verdunkelte Haus betreten hatte und die hoffnungslose Prognose des Arztes gehört hatte, ging ihm auf, wie ernst die Situation tatsächlich war.
Die immer schon enge Beziehung zu seinem Vater war nach dem vorzeitigen Tod seiner Mutter Alice, die bei einem Reitunfall ums Leben gekommen war, als er einundzwanzig gewesen war, noch enger geworden. Fergus Jones hatte nicht wieder geheiratet. Caleb war der einzige Nachkomme aus dieser Beziehung.
Ein Feuer brannte im Kamin und schuf im Krankenzimmer unerträgliche Hitze, da der Kranke geklagt hatte, er fröre, wiewohl sein ganzer Körper förmlich glühte. Dieses unnatürliche Kältegefühl, hatte die Pflegerin mit einer Miene morbider Genugtuung erklärt, sei ein sicheres Anzeichen für den
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