Suesses Gift Der Liebe
sollen?«
»Opfer?« Sie hielt mit der Hand auf dem Türknauf inne. »Sie glauben, es ist ein Mord?«
»Aber natürlich. Was denn sonst?«
Sie umfasste den Türknauf fester. »Nun, ich dachte, sie hätte ja Selbstmord begehen können.«
»Selbstmord? Warum hätte sie das tun sollen?«
»Aus Reue? Weil sie Gift verkaufte?«
»Es sieht aus, als hätte sie mit dem Zeug schon seit geraumer Zeit gehandelt. Ich bezweifle sehr, dass sie just in den letzten vierundzwanzig Stunden von Reue überwältigt wurde.«
Bei ihm regte sich Besorgnis. Lucinda schien in eine seltsame Stimmung verfallen zu sein. Vielleicht, weil sie im Begriff standen, eine Tote aufzufinden. Nein, nicht nur das, entschied er. Da war noch etwas anderes. Er konnte starke Emotionen zwar nicht erklären, erkannte sie aber mit Sicherheit, wenn er ihnen begegnete. Unter der Fassade kalter Beherrschung war sie zutiefst aufgewühlt.
Er umfasste ihre Hand auf dem Türknauf. »Was ist? Stimmt etwas nicht?«
Sie blickte mit Angst in den Augen auf. »Was, wenn Mrs Daykin meinetwegen getötet wurde?«
»Verdammt, das ist also das Problem.« Er umfasste ihr Gesicht mit seinen behandschuhten Händen und zwang sie, ihn anzuschauen. »Hören Sie gut zu, Lucinda. Was hinter dieser Tür geschah, ist nicht Ihre Schuld. Wenn Mrs Daykin tot ist, wie ich glaube, dann starb sie, weil sie irgendwie in diese Giftaffäre verwickelt war.«
»Vielleicht ist sie nur unschuldig hineingeraten, weil sie den Fehler beging, Dr. Hulsey zu erzählen, dass ich einen ungewöhnlichen Farn besitze.«
»Moment, Lucinda. Was immer sie sonst war, Mrs Daykin geriet nicht unschuldig in die Sache hinein. Sie sagten ja selbst, dass sie schon seit einiger Zeit mit Gift handelte.«
»Aber wenn sie es nicht war, die hier Gift verkaufte, sondern ein anderer, ein Mitarbeiter vielleicht? Wäre es nicht möglich, dass sie nicht wusste, was hier vorging?«
»Sie wusste es.«
»Sie war Apothekerin, eine Frau mit echtem Talent für Heilkunde. Sicher hätte sie nie …«
»Sie kennen das alte Sprichwort Was heilen kann, kann auch töten. Das Geschäft mit Gift macht sich bezahlt. Gier ist ein Motiv, das ich nachvollziehen kann.«
Mit sanfter Bestimmtheit schob er ihre Hand vom Türknauf und öffnete die Tür. Das Miasma des Todes wehte ihnen entgegen.
»O Gott …« Lucinda riss ein zartes besticktes Leinentüchlein aus ihrer Manteltasche und hielt es über Nase und Mund. »Sie hatten recht.«
Auch er zog ein Taschentuch hervor, um den Geruch zu
dämpfen. Leider vermochte nichts, die psychische Einwirkung abzumildern. Der Leichnam besaß keine energiegeladene Aura, der Akt des Sterbens hatte dem Raum seinen Stempel aufgedrückt.
Man sah keine Anzeichen von Gewalt. Die Frau auf dem Boden schien einfach zusammengebrochen zu sein, doch Augen und Mund standen in einem Ausdruck erstarrten Entsetzens weit offen.
»Das ist Mrs Daykin«, sagte Lucinda leise.
»Vergiftet?«
Lucinda trat näher und blickte auf die Tote hinunter. Er verspürte einen Hauch psychischer Strömungen und wusste, dass sie ihre Sinne anspannte.
»Nein«, sagte sie mit Überzeugung. »Eine Wunde kann ich aber nirgends entdecken. Vielleicht erlitt sie einen Schlaganfall oder eine Herzattacke.«
»Hieße das nicht den Zufall überstrapazieren?«
»Ja. Aber ich kann keine gewaltsame Todesursache entdecken.«
»Ich tippe dennoch auf Mord. Mehr noch, sie ließ den Mörder selbst ein.«
»Das vermittelt Ihnen Ihre Gabe?«, fragte sie sichtlich beeindruckt.
»Nein. Das schließe ich aus dem Umstand, dass es keine Anzeichen gewaltsamen Eindringens gibt.«
»Ach … Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Vielleicht ein Liebhaber?«
»Oder ein Geschäftspartner. In meiner kurzen Karriere als Ermittler habe ich festgestellt, dass der eine wie der andere sich als Betrüger entpuppen kann.«
Mit offenen Sinnen durchsuchte er den Raum rasch und methodisch. Aus dem Augenwinkel sah er Lucinda zu einem Beistelltisch gehen und nach einer gerahmten Fotografie greifen.
»Das muss ihr Sohn sein«, sagte sie. »Der, den sie bei ihrem Besuch erwähnte. Er kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Caleb richtete sich auf und studierte das Bild. Es zeigte einen jungen Mann Anfang zwanzig, in einem dunklen Anzug steif in Pose geworfen. Sein Haaransatz wich trotz seiner Jugend bereits zurück. Er sah den Betrachter mit einer für Porträtfotos typischen starren Intensität an.
»Erkennen Sie ihn?«, fragte er.
»Nein. Auf den ersten Blick hatte ich
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