Suesses Gift Der Liebe
benommen mit offenem Mund anstarren - auf höchst unvorteilhafte Weise, wie sie argwöhnte.
»Ach«, brachte sie nach einer wahren Ewigkeit heraus.
»So gehen Sie schon«, sagte Victoria und tippte mit ihrem Fächer energisch auf Lucindas Handrücken. »Ich behalte indes Patricia im Auge.«
Der feste Schlag des Fächers riss Lucinda aus ihrer Benommenheit. Sie schluckte und fasste sich.
»Danke, Mr Jones«, sagte sie. »Da es schon länger her ist, dass ich Walzer tanzte, bin ich leider ziemlich außer Übung.«
»Ich ebenso, aber es geht ganz leicht. Wir schaffen es sicher, nicht über unsere eigenen Füße zu stolpern.«
Er nahm ihre Hand und zog sie von der gepolsterten Sitzbank hoch, ehe ihr passende Gegenargumente einfielen. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass sie aus dieser Richtung keinen Beistand zu erwarten hatte. Victoria beobachtete sie beide mit einem höchst eigenartigen Ausdruck.
Als Nächstes bemerkte sie nur, dass sie rasch einen langen, spärlich erhellten Gang entlanggeführt wurde, sodann eine schmale, vollgeräumte Dienstbotentreppe hinunter. Unten angekommen, öffnete Caleb eine Tür und zog sie in den strahlend erhellten Ballsaal, wo er sich mit der für ihn charakteristischen zielstrebigen Entschlossenheit einen Weg durch die Menge bahnte.
Und dann lag sie in einem Schwindel erregenden Augenblick in seinen Armen wie an dem Tag, als er sie in der Bibliothek geküsst hatte.
Er drehte sich mit ihr im langsamen, sinnlichen Walzerschritt. Sie wusste, dass Köpfe sich nach ihnen umdrehten, auf der Tanzfläche und daneben. Wusste, dass sie und Caleb jene Art Aufmerksamkeit auf sich zogen, der zu entgehen sie gehofft hatte. Calebs kraftvolle Hand lag warm und stark auf ihrem Rücken, und er sah sie an, als gäbe es sonst niemanden im Ballsaal. Hitze und Energie, untrennbar mit Musik verquickt, hüllten sie beide ein.
»Sehen Sie?«, triumphierte er. »Den Walzerschritt vergisst man nicht.«
Sie glaubte nicht zu tanzen, sondern zu fliegen. »Es sieht so aus, Mr Jones. Jetzt berichten Sie mir Ihre Neuigkeit.«
»Vorhin sprach ich mit Inspektor Spellar. Er konnte aufgrund der Beweise in Mrs Daykins Notizbuch im Fall Fairburn eine Verhaftung vornehmen.«
»Lady Fairburn?«
»Nein, ihre Schwester Hannah Rathbone. Sie brach zusammen und legte sofort ein Geständnis ab, als Spellar ihr das Notizbuch zeigte. Ihr Name erscheint darin.«
»Ich verstehe. Ich nehme an, sie tötete Fairburn, weil sie ihre Schwester als reiche Witwe sehen wollte.«
»Das wäre gewiss die logische Erklärung. Laut Spellar aber brachte die Rathbone ihren Schwager um, weil er die Affäre beenden wollte, die er mit ihr hatte.«
»Allmächtiger … also ein Verbrechen aus Leidenschaft und nicht aus Habgier.«
»Wie gesagt, nicht das logische Motiv, aber so ist es nun
mal. Sie laufen nun nicht mehr Gefahr, wegen des Mordes an Fairburn verhaftet zu werden.«
»Mr Jones, ich kann Ihnen gar nicht genug danken …«
»Bleibt immer noch das Problem Ihres Farns. Das von der Daykin verkaufte Gift enthält Spuren davon.«
Plötzliche Angst erfasste sie. »Da Mrs Daykin aber tot ist, gibt es niemanden, der weiß, dass die Pflanze Bestandteil ihres Giftes ist.«
»Es gibt zumindest einen Menschen, der es weiß«, sagte Caleb.
»Ach, du meine Güte. Sie meinen Dr. Hulsey.«
»Man kann nun mit großer Sicherheit sagen, dass Hulsey Mrs Daykin gut kannte. Er stellte mindestens eines der Gifte her, die sie verkaufte.«
Da kam ihr ein Gedanke. »Glauben Sie, Hulsey könnte sie getötet haben?«
»Nein.«
»Warum sind Sie so sicher?«
»Hulsey ist auf gefährliche Chemikalien spezialisiert. Wenn er jemanden ermorden wollte, hätte er eher zu einer Waffe gegriffen, die ihm vertraut ist.«
»Zu Gift.«
»Ja.«
Ein Schauer erfasste sie. »Aber ich konnte kein Gift an der Toten entdecken.«
»Das bedeutet, dass ein anderer ihr Mörder war.«
»Eines ihrer Erpressungsopfer?«
»Möglich«, räumte Caleb ein, »doch ihr Notizbuch zeigt, dass sie schon jahrelang im Geschäft war. Die Tatsache, dass jemand erst kürzlich beschloss, sie zu töten, ist …«
»Ich weiß. Das hieße den Zufall überstrapazieren. Dasselbe dachte ich bei dem angeblichen Selbstmord meines Vaters. Ich konnte nicht glauben, dass er sich, unmittelbar nachdem der Leichnam seines Partners gefunden wurde, die Pistole an den Kopf hielt.«
»Wie bitte?« Caleb blieb mitten auf der Tanzfläche stehen. »Ihr Vater hat kein Gift genommen?«
Da sie
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