Suesses Gift Der Liebe
ein Leben im Bordell.«
Lucinda sah sie ungehalten an. »Sie können mir glauben, wenn ich sage, dass ich niemals eine Bordelllaufbahn einschlagen
würde, selbst wenn man mich entführt und schändet, wie Sie es nennen, Mrs Childers. Ich wäre freilich wütend. Sehr, sehr wütend. Aber ich kann mich wehren. Fragen Sie die zwei Halunken.«
Die Frauen starrten sie mit großen Augen bewundernd an.
»Sie hat recht«, sagte Alice rasch. »Als sie Reißaus nahmen, heulten sie wie kleine Kinder.«
»Wo ist Shute?«, fragte Lucinda abermals und blickte suchend in den Nebel.
»Ich habe ihn gefunden«, rief jemand.
Alle drehten sich in die Richtung um, aus der die Stimme kam. In Begleitung eines der Nachbarn tauchte Shute aus einer engen Gasse auf. Seine Bewegungen waren unsicher, doch er war auf den Beinen, wie Lucinda erleichtert sah.
Sie wollte loslaufen, strauchelte aber sofort und wäre wieder auf dem Pflaster gelandet, hätte Caleb sie nicht aufgefangen.
»Ist auch noch der Knöchel verstaucht?«, fragte er, als wäre es ihre Schuld. Dann nahm er sie in die Arme und hob sie hoch.
»Nein, ich habe mir wohl einen Absatz abgebrochen. Stellen Sie mich bitte hin, Sir. Ich muss mich um Shute kümmern.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht ernsthaft verletzt sind?«
»Ja, Caleb«, sagte sie. »Ich bin sicher. Und jetzt stellen Sie mich bitte hin.«
Widerstrebend stellte er sie auf die Füße. Eine Frau kam gelaufen.
»Ich fand Ihre Brille, Miss Bromley«, sagte sie. »Sie ist zerbrochen.«
»Zu Hause habe ich noch eine.« Gefolgt von Caleb humpelte Lucinda zu ihrem Kutscher. »Shute, was hat man Ihnen angetan?«
»Entschuldigung, Miss Bromley.« Sichtlich verärgert griff Shute sich an den Kopf. »Diese Mistkerle kamen von hinten und schlugen mich nieder, ehe ich wusste, wie mir geschah.«
Sie untersuchte ihn, so gut es bei dem schlechten Licht ging. »Was glauben Sie, waren Sie bewusstlos?«
»Nein, nur benommen. In Nu war ich geknebelt und wie ein Hühnchen zusammengebunden.«
»Sie bluten und stehen unter Schock. Erst müssen Sie ins Warme, dann werde ich Ihre Wunden versorgen.«
»Bringen Sie ihn zu uns ins Haus«, bot Alice an. »Wir haben es warm.«
»Gut.« Lucinda drängte Shute sanft zum Eingang. »Würden Sie mir wohl meine Tasche bringen, Mrs Ross? Sie steht auf dem Pflaster neben dem Wagen.«
»Ich hole sie«, sagte Alice.
Mit Calebs Hilfe bugsierte Lucinda Shute zur Tür.
»Konnten Sie einen Blick auf die Angreifer werfen?«, fragte Caleb sie.
»Leider kann ich keine gute Beschreibung liefern«, sagte sie. »Alles ging sehr schnell. Aber beide rochen nach Zigarettenrauch.«
»Das trifft auf nur drei Viertel der Gauner in London zu«, murmelte Caleb.
»Einer hieß Sharpy, der andere Perrett«, setzte sie hinzu.
»Aus dieser Gegend waren sie nicht«, sagte Gilbert Ross. »So viel kann ich sagen.«
»Es spielt keine Rolle«, sagte Caleb. »Ich werde sie finden.«
»Wie?« Lucinda zweifelte nicht an seinen Worten, war aber neugierig, welche Strategie er anzuwenden gedachte.
»In der Unterwelt macht Klatsch so rasch die Runde wie in den Klubs und Salons der sogenannten besseren Gesellschaft.« In seinen Augen lag etwas Dunkles und Raubtierhaftes. »Vertrauen Sie mir, Lucinda. Ich werde sie finden.«
21. KAPITEL
»Was zum Teufel haben Sie mit den beiden Männern gemacht, dass sie Hals über Kopf flohen?«, fragte Caleb und klang sehr neugierig.
Lucinda sah ihn über den Rand ihrer Teetasse hinweg an. Jetzt konnte sie sein Gesicht dank ihrer Reservebrille klar sehen. Seine Züge zeigten noch immer kalte und harte Linien, in seinen Augen lag ein unerbittlicher Ausdruck, doch er hatte seine zweite Seite, die gefährliche und Furcht einflößende Seite, die sie kurz zuvor in der Guppy Lane an ihm wahrgenommen hatte, wieder unter Kontrolle.
Sie befanden sich in der Bibliothek. Eben erst nach Hause gekommen und noch in Ballrobe hatte Patricia sich zu ihnen gesellt.
Caleb stand mit dem Rücken zum Fenster. Seinen langen Mantel hatte er abgelegt. Lucinda hatte mit Erstaunen gesehen, dass er noch Hemd und Hose vom Ball trug. Offenbar war er nicht zu Bett gegangen. Das Hemd stand am Hals offen, die Ärmel waren aufgerollt.
Er musste das Haus in größter Eile verlassen haben, schloss sie. Leider brachte diese Zwanglosigkeit Bilder in Erinnerung - wie er sich im Trockenschuppen über sie gebeugt hatte, wie er sich auf sie gelegt und sie in das duftende Lager gedrückt hatte. Sie hatte Mühe, sich
Weitere Kostenlose Bücher