Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
ich in Rom übersetzt habe. Sollten wir nicht eher die Meinung des Doktors Paracelsus berücksichtigen?«
Ulmitzer sah auf Widmannstetter herab wie auf eine lästige Fliege.
»Der gute Doktor Paracelsus hat, soweit ich weiß, nicht einmal in lateinischer Sprache geschrieben.«
Widmannstetter ließ sich nicht einschüchtern.
»Das mag sein, Herr Hofarzt. Sein Ruf hat davon keinen Schaden gelitten, denn seine Heilungserfolge sind zahlreich. Er ist der Meinung, ein Temperament, das zu Unmäßigkeit neigt, müsse in tödliches Ungleichgewicht geraten. Eine dem entgegengesetzte Ernährung bringt das verlorene Gleichgewicht zurück. So brauchen Melancholiker, von trockener, kalter Natur, warme, feuchte Speisen; Choleriker, von trockener, warmer Natur, benötigen kalte und feuchte Nahrung; Phlegmatiker, von kalter, feuchter Natur, sollten trockenes und warmes Essen einnehmen; und die Sanguiniker, wie unser Herzog von warmer und feuchter Natur, verlangen nach kalten und trockenen Speisen, wenn ihre Körpersäfte nicht mehr im richtigen Verhältnis zueinanderstehen. Das ist doch leicht zu begreifen, oder etwa nicht?«
Bei jedem Wort Widmannstetters erschien eine neue Falte auf Ulmitzers Gesicht. Seine Mundwinkel erreichten fast das Kinn.
»Mein Herr Gelehrter, der heilige Hieronymus lehrt uns, dass der Geschmackssinn der einzig lebensnotwendige ist. Denn er erkennt, was für den Körper giftig ist. Galen und Avicenna schreiben, dass er untrüglich merkt, was ihm zugutekommt, mithin gesund ist. Aldobrandinus von Siena meint, dass das Schmackhafte die Verdauung erst ermöglicht. Magnignus von Mailand versichert uns, dass ausschließlich der eigene Geschmack des Essenden ihm zuverlässig sagt, was er benötigt. Unser Herzog tut und isst, dem Anschein zum Trotz, das für ihn Richtige.«
Widmannstetter hob fassungslos die Schultern.
»Genauso viele Zitate kann ich aus arabischen Manuskripten ins Feld führen, Doktor Ulmitzer. Wer kann unserem Herzog am besten helfen? Das scheinen mir Hieronymus, Galen und Avicenna nicht zu sein. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Die Anwesenden sahen einander ratlos an. Niemand wagte, sich in die gelehrte Diskussion einzumischen. Sabina ertrug das nicht lange.
»Doktor Widmannstetter, was schlägt Paracelsus gegen den süßen Fluss vor?«
Der Befragte antwortete zögerlich, fast ängstlich.
»Viel Bewegung, wie ich schon sagte, leichter, herber Wein, grobes Brot, viel Wurzelgemüse, Fleisch und Fisch nach Herzenslust, wenig Honig und Zucker, da sie den Appetit erhitzen.«
Empörtes Raunen unterbrach ihn. Grobes Brot, herber Wein und Wurzelgemüse waren Bauernkost – ein Edelmann würde davon elend sterben. Was für gefährliche Hexerei! Ulmitzer fasste verächtlich nach seiner Brille. Er blieb bei seiner Aussage. Da mischte sich Eck ein.
»Doktor Paracelsus ist im April dieses Jahres in Salzburg verstorben, nicht wahr?« Widmannstetter bejahte. »Dieser Doktor Paracelsus, der an einer geheimnisvollen Vergiftung gestorben ist, war der Leibarzt des Erzbischofs von Salzburg. Der Leibarzt von Herzog Ernst von Bayern, dem dritten Bruder der beiden regierenden Herzöge von Bayern, nicht wahr?« Widmannstetter nickte. »Meint Ihr wirklich, wir könnten den Empfehlungen eines Arztes folgen, der sich möglicherweise selbst vergiftet hat und einem Mann diente, der unseren beiden Herzögen nicht wohlgesonnen ist?«
Widmannstetter war sprachlos, aber Sabina explodierte regelrecht.
»Mein Bruder Ernst? Mein jüngster Bruder seinen älteren Brüdern nicht wohlgesonnen? Unverschämt, Hofrat! Paracelsus hat ihm treu gedient und große Erfolge erzielt. Das hat mein Bruder Ernst mir immer wieder berichtet. Sie schweigen jetzt! Wir wissen nicht weiter, das ist die Wahrheit. Aber ich weiß, diese Teufelsmode mit dem Zucker bringt Ludwig um und ich vertraue dem Doktor Paracelsus, ob er in lateinischer Sprache geschrieben hat oder nicht, weil mein geliebter Bruder Ernst ihm auch vertraut hat. Liebster Bruder«, sie kniete sich vor Ludwigs Bettstatt nieder und ergriff seine Hand, »was denkt Ihr? Könnt Ihr uns antworten?«
Auch Anna Lucretia flehte ihn leise an.
»Liebster Vater, bitte, ich brauche Euch doch so dringend. Ihr dürft nicht sterben. Das Glück und die Zukunft Eurer Tochter hängen von Eurem Wohlergehen ab. Was soll denn aus mir werden, wenn Ihr jetzt sterbt? Versucht, den Rat von Doktor Paracelsus zu befolgen.«
6
Als auf Burg Trausnitz und in Landshut der Entschluss des Herzogs
Weitere Kostenlose Bücher