Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Ratte? Ja, warum nicht? Der könnte auch sein Lied singen. Mein Herr – der, den ich meine – ist er aber nicht. Nehmt Euch in acht, Meister Niklas, mein Herr verzeiht nichts. Er kann Euch jederzeit ins Verderben stürzen. Ich wünsch Euch noch einen guten Tag, Baumeister. Nein, so ein Ochs! Ich glaub es nicht.«
Der Rotschopf verschwand, wie er gekommen war. Überreiter fühlte sich nach wie vor höchst zufrieden. Die Drohgebärde des Soßenkochs hatte ihn nicht beeindruckt. Langhahn hatte von einem mächtigen Herrn gesprochen. Ein mächtiger Herr? Lächerlich, der existierte doch nur in seinen Träumen!
Er malte sich die Szene in den schönsten Farben aus, als er in den Weinkeller hinabstieg, um die Tagesarbeit mit den Maurern und Böttchern zu besprechen. Doch noch bevor er seinen Bautrupp überhaupt sah, zog ihn eine energische Hand auf sein Schlaflager hinter der Fässerwand. Er erkannte die weiche, leicht schlaffe Haut.
»Theresa? Was machst du hier um diese Zeit? Bist du verrückt?«
»Verrückt nach dir und verrückt wegen dir, du Unmensch! Was ist los seit dem Weinfest? Du schaust mich nicht mehr an, du fragst nicht nach mir, du versteckst dich vor mir. Was soll denn das?«
Überreiter fühlte seine Wangen brennen und betete inständig, dass die Kärglerin es in der Dunkelheit nicht merkte. Er hatte sie tatsächlich in seiner Bedrängnis, aber auch in seiner neu erwachten Hoffnung völlig vergessen.
»Theresa! Großer Gott, ich habe Gründe! Was glaubst du denn? Kannst du mir nicht vertrauen? Geh jetzt, bevor dich jemand sieht!«
Die Kärglerin sprang geschickt auf den Haufen aus Fellen und Decken, setzte sich drauf mit kess baumelnden, leicht geöffneten Beinen.
»Ich gehe, wann ich will. Sag, was das für Gründe sind! Was ist geschehen, Niklas?«
Der Baumeister suchte nach einer Erklärung, die sie akzeptieren konnte, doch er fand keine. Wie auch? So erzählte er endlich die Wahrheit, doch über Anna Lucretia verlor er kein Wort. Die Kärglerin glaubte ihm sofort und knurrte vor Wut.
»Ach, der Langhahn, diese Schlange! Ich habe meinen Mann immer vor ihm gewarnt. Seit er in der Küche ist, benimmt sich der Grünberger komisch, und ein paar andere auch. Kärgl meint, dass sie aus der Vorratskammer mehr entnehmen, als ihnen zusteht, aber er konnte es den beiden bisher nicht beweisen. Der Langhahn legt die Mägde flach, weil er sie erpresst. Aber womit? Keine würde freiwillig an ihm riechen wollen, da bin ich mir sicher. Und jetzt das Gift! Und wir können es nicht mehr miteinander treiben.« Sie regte sich auf. »Judasbrut! Den kriegen wir noch. Wenn ich dich nicht besuchen darf, mein Waldmännlein, mein süßer Wolf, dann kümmer ich mich um den Langhahn. Der wird es noch bereuen, uns nicht in Ruhe zu lassen!«
»Was hast du vor, Theresa? Sei vorsichtig! Er hat doch von einem mächtigen Herrn gesprochen.«
»Ich pass schon auf, und du auch. Der mächtige Herr, das ist nur seine Geldgier. Aber wir kriegen ihn. Küss mich, mein Bärchen! Niemand trennt uns, das verspreche ich dir.«
Mit flatterndem Herzen ging der Baumeister einige Zeit später zu seinen Männern. Er traute seiner Gespielin zu, forsch nach Langhahns Geheimnis zu suchen. Das war nur gut. Er traute ihr inzwischen aber auch zu, die Herrin über seine Manneskraft zu bleiben. Das war nicht so gut. Bei diesem Gedanken beließ er es. Vorerst.
15
Während im unterirdischen Weinkeller an diesem Samstag vor Rorate, dem dritten Advent, die Dinge endlich ihren gewohnten Gang gingen, türmten sich oberirdisch neue Wellen auf. Sabina versuchte mit ihrer ganzen Kraft, ihren Bruder vom vereinbarten Besuch bei Ursula von Weichs abzuhalten.
»Bei allen Heiligen, Ludwig, Ihr gefährdet damit Euren Leib und Eure Seele. Morgen früh ist in Sankt Martin die Rorate-Messe. Wollt Ihr etwa davor fleischlich sündigen? Das darf doch nicht sein!«
Der Herzog, frisch frisiert, den wallenden Bart sorgfältig gekämmt und sein feinstes, mit Veilchen- und Irispulver parfümiertes Baumwollhemd auf der Haut, stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß auf.
»Fleischlich sündigen! Liebste Schwester! Wer sagt Euch, ich hätte das vor? Ich habe schon genug erlebt. Ich weiß, was ich tun darf und was zu lassen habe. Und wenn ich Ursula nicht besuche, begehe ich die Todsünde, ein unter Lebensgefahr gegebenes Versprechen nicht zu halten. Ist es das, was Ihr wollt? Das kann ich nicht glauben!«
»Bitte, Ludwig, sagt doch einfach, Ihr seid unpässlich. Jeder wird das
Weitere Kostenlose Bücher