Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
sprechen müsste. Also – lassen wir sie reden … «
»Mein Bruder«, eröffnete sie mit fester Stimme, »Ihr wisst ja, was Doktor Ulmitzer von der Paracelsusdiät hält. Er meint, der gefährliche Anfall von gestern sei auf eine dauerhafte Schwächung durch die selbige zurückzuführen. Es scheint mir aber schwierig, genau zu sagen, ob der Genuss des Ambras, ob alles das – wie soll ich es ausdrücken – was daraus entstanden ist, Euch zugesetzt hat, ob solche Genüsse überhaupt angebracht und gottgefällig waren. Doch wie dem auch sei, ich denke, es wäre an der Zeit, zu Eurer gewohnten Ernährung zurückzukehren. Allzu sehr tappen wir im Dunkeln. Größte Vorsicht ist geboten. Bis zum Heiligen Abend sind es nur noch sechs Tage. Lasst uns die Diät wie gehabt als Fasten bis dahin fortführen. Jedermann wird sich umso mehr freuen, wenn Ihr während des Weihnachtsoktavs besonders feierlich speist. Teilt Ihr meine Meinung, Bruder?«
Ludwig nickte verlegen. Von der Paracelsusdiät fühlte er sich ganz und gar nicht geschwächt, im Gegenteil, aber wie war das gestrige Geschehen anders zu deuten? Als Strafe für eine Todsünde? Das konnte er nicht glauben. Warum jetzt? Warum nicht tausendmal vorher? Nein, beide schlimmen Anfälle mussten wohl an der Diät liegen. Auf einen Dritten wollte er es nicht ankommen lassen. Er sah zu Weißenfelder. Der Hofrat schien ähnliche Zweifel zu hegen.
»Liebste Schwester, wie so oft sprecht Ihr die Wahrheit. Es ist die Stimme der Vernunft, der wir folgen werden.«
Anna Lucretia und Widmannstetter hatten währenddessen immer entsetztere Blicke ausgetauscht. Wenn die bisherige Überwachung der Küche aufhörte, würde der vermeintliche Giftmischer wieder leichtes Spiel haben. Es blieben keine Zeit und keine Möglichkeiten mehr, seine Identität aufzudecken. Anna Lucretia überlegte nicht lange.
»Verzeiht, Vater, das ist unmöglich. Das ist zu leichtsinnig, Tante. Ihr seid wieder gesund, Vater. Das dürft Ihr auf keinen Fall gefährden. Ich flehe Euch an! Unterbrecht die Diät nicht! Nicht so schnell, nicht so bald!«, rief sie außer Atem und mit glühenden Wangen.
Der Anblick ihrer aufgelösten Nichte erweckte in Sabina sofort wieder den alten Kampfgeist.
»Was soll das, mein Fräulein? Ich habe doch gerade die Gründe erklärt. Die sind vernünftig, wie mir und deinem Vater erscheint.«
»Sie scheinen vernünftig zu sein, sind es aber nicht. Es stimmt: Mein Vater hat zwei schlimme Unpässlichkeiten erlebt. Aber sie waren sehr unterschiedlich, jedes Mal kamen auch andere Ursachen infrage als die Ernährung nach Doktor Paracelsus, die ihm sonst offensichtlich sehr gut tut.«
»Andere Ursachen, die möglicherweise keine gewesen wären, wenn der Herzog nicht so geschwächt wäre«, mischte sich Weißenfelder ein. »Im Zustand der Unwissenheit soll man sich einer Meinung enthalten, Fräulein von Leonsperg.«
Anna Lucretias Aufregung schlug um in Wut.
»Keine gewesen wären? Das sah immerhin beim ersten Mal wie eine handfeste Vergiftung aus. Und gestern? Hat sich mein Vater nicht leichtsinnig, nicht zu sehr, nicht – oh Gott, wie soll ich das sagen – übermäßig verausgabt? Habt Ihr schon vergessen, wie siech er war bis zum Verlobungsmahl? Redet bitte nicht von Unwissenheit, Herr Hofrat! Ahnungslos war sein Arzt, bis Doktor Widmannstetter die Paracelsusdiät vorschlug.«
Auch Ludwigs Verlegenheit schlug nun um in Aufgebrachtheit.
»Anna Lucretia, seit wann beschäftigt sich eine anständige Jungfrau mit solchen Gedanken? Ist das die Belohnung meines Vertrauens? Vergeltet Ihr mir so meine Großzügigkeit? Es mag ehrenwert sein, dass eine Verlobte ihren zukünftigen Ehemann ohne Wenn und Aber unterstützt. Doch was ich hier sehe, ist Blindheit, ist Anmaßung durch jugendliche Verliebtheit, und ich hoffe, meine Tochter, es ist nur das! Ich erwarte Eure sofortige Entschuldigung und die Rückbesinnung auf ein züchtiges Benehmen.«
Erregt legte Sabina eine Hand auf die Schulter ihrer Nichte.
»Auf die Knie, Anna Lucretia, vor deinem Vater, wie vor deinem Schöpfer!«
Doch die junge Frau schüttelte empört die harte Hand ab. Ihre Augen verdunkelten sich, als sie sich ihr besticktes Haarband vom Kopf riss. Einige Haarsträhnen lösten sich aus ihrem schweren Zopf, flatterten um ihr Gesicht, was sie keinen Augenblick kümmerte.
»Knien werde ich erst, Tante, wenn das alles hier vorbei ist. An Johann Albrechts Seite. Ich bin in ihn verliebt, das ist kein Geheimnis. Ich darf
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