Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
bestimmte Kleidung und Kissen, ganz persönliche, vielleicht absurde oder abstoßende Rituale, lieb gewordene, aus einem flüchtigen Moment der Seligkeit entstandene Gewohnheiten. All dem trauerte sie verzweifelt nach, noch bevor sie etwas davon besessen hatte.
»Anna Lucretia! Was machst du hier?« Ihr Herz blieb stehen vor Schreck, nicht nur, weil die Stimme so unerwartet kam, sondern auch, weil ihr Ton so wütend war. Johann Albrecht ließ ihr keine Zeit. »Ich suche dich schon überall. Du bist nicht im Fürstenbau, nicht im Dürnitz, nicht in der Kapelle! Du läufst ohne Grund weg und jetzt stehst du mutterseelenallein in meiner Schlafstube. Was ist mit dir los, verdammt noch mal?«
»Als ob du das nicht wüsstest! Keine Sorge, ich gehe sofort wieder. Wo befinden sich mein Vater und meine Tante?«
Er versperrte ihr den Weg zum Ausgang.
»Der Herzog und die Herzogin sind in der Stadtresidenz geblieben. So wirken die Überraschungen morgen besser. Du bist, wie mir scheint, allen entwichen. Im Fürstenbau denken deine Mägde, du seist bei Vater und Tante. Und diese beiden glauben, du bist brav in deiner Schlafstube. Du musst also nicht so schnell hier weg. Als ich ankam, warst du doch auch nicht in Eile, nicht wahr? Erkläre mir also, was mit dir geschieht, denn ich weiß es nicht.«
»Dann willst du es nicht wissen und folglich brauchst du es nicht zu wissen. Lass mich vorbei!«
»Ganz bestimmt nicht, Anna Lucretia! Nicht so.«
Sie begann zu verstehen, dass sie es nicht mit dem gelehrten Doktor Widmannstetter zu tun hatte, sondern mit dem heißblütigen, noch jungen Mann, der es als Erster gewagt hatte, die arabische Sprache zu studieren. Der bis Neapel und Sizilien nach Manuskripten aus dem Orient forschte und nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, bei den Türken und Ägyptern weiterzusuchen. Der den Degen so gut und gern führte, dass seine Feinde überall behaupteten, er würde sie mutwillig zu verbotenen Duellen treiben. Ansatzlos schlug sie ihm mit ihrer freien Hand ins Gesicht. Er ließ ihren Arm nicht los.
»Du willst mir jetzt Befehle geben?«, fauchte sie. »Nachdem du ganz allein beschlossen hast, von mir fortzugehen? Ich soll mich wohl glücklich schätzen? Eine schöne Ehe wäre das geworden.«
»Du hast also entschieden, mich nicht zu heiraten?« Ihren Schlag ließ er sich nicht anmerken. »Ganz allein, wohlgemerkt. Darf ich den Grund erfahren?«
Anna Lucretia wurde schwindlig. Er stand unbeirrbar vor ihr, seine Hand festgekrallt in ihrem Arm. Sie wusste nicht mehr, wohin mit dieser gewaltigen Wutwelle, die sie bisher getragen hatte. Sie begann zu zittern.
»Morgen früh gehst du. Du verlässt mich. Unter einem schändlichen Vorwand.«
»Ich reite nach Württemberg und komme zurück.«
Sie begann bitterlich zu weinen.
»Ich glaube dir kein Wort, sonst hättest du dich vorher mit mir abgesprochen. Du willst einfach weg von hier. Von den Anfeindungen, von dieser Verschwörung gegen meine Tante und gegen das Leben meines Vaters. Du hast den besten aller Gründe gefunden: Württemberg! Du wirst nicht zurückkommen, was niemanden überraschen wird, da du offiziell entlassen wurdest. Und kein Mensch wird sich über meine Trauer wundern: Schließlich ist meine Verlobung gelöst. Nein, ich glaube dir kein Wort. Sonst hättest du mit mir geredet.«
Zärtlich streichelte seine linke Hand über ihr aufgelöstes Haar.
»Weißt du, Liebste, warum ich allein entschieden habe? Ich könnte dir erzählen, es gab für die Entscheidung keine Zeit. Auch du hast von Langhahn und Überreiter berichtet, ohne Absprache mit mir. Ich bin dir nicht gram dafür. Im Gegenteil, du hast den Stein ins Rollen gebracht. Du hast mir vertraut, dass ich es auch so sehe. Deswegen war mein wahrer Grund, allein zu entscheiden, genau derselbe. Nämlich meine Gewissheit, dass du mir vertraust. Erzähl mir nicht, du fändest es falsch, dass jemand nach Württemberg reitet. Was ich gesagt habe, gilt: Es muss sein, dass ich es tue und dass ich als entlassen gelte. Du glaubst mir, nicht wahr?«
Sie weinte noch bitterlicher – aus Erleichterung, aus Angst, aus sie zerreißender Liebe, so sehr, dass er spürte, wie ihre Beine schwach wurden. Mit immer noch eisernem Griff führte er sie zum Bett, einem einfachen Himmelbett aus dunklem Eichenholz mit nussbraunen Gardinen. Dort krümmte sie sich wie vor Schmerzen.
»Was geschieht mit mir, wenn du aus Württemberg nicht zurückkehrst?«
»Ich kann dir nicht versprechen, dass
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