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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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konnte, ohne Verdacht zu erregen.
    Sie sprachen kein Wort miteinander; sie küssten sich auch nicht mehr. Er verschwand zum äußeren Burghof in Richtung der Hofställe, sie huschte wie ein Schatten in den Haag. Sie konzentrierte sich auf das Notwendigste, den Weg zwischen Schanzl und Stadtblick und ihre Wortwahl, damit niemandem auffiel, dass sie die Nacht weder in ihrem Zimmer auf der Trausnitz noch in der Stadtresidenz verbracht hatte. Als Anna Lucretia ihr Ziel erreicht hatte, erhellte ein silbergrauer Streifen den Horizont über der Stadt. In den sieben Klöstern Landshuts läuteten durch den leichten Nebel die Glocken zum Primgebet; durch die Luft schwebte Gesang den Burgberg empor. Am liebsten hätte sie sich nicht mehr gerührt. Doch die feuchte Kälte aus dem Tal der Isar kroch wie eine eisige Hand zwischen ihre Haut und die hastig zusammengestellte Kleidung – ihre Gottesdienstkleidung vom gestrigen Morgen mit Handschuhen, Beinlingen und einem gefütterten Wams von Widmannstetter.
    Erst jetzt zeigten sich in ihr die Erschöpfung, der Hunger, der körperliche Schmerz, die Angst, die Zweifel, die Sorge um Johann Albrecht. Hatte sie richtig gehandelt in der Nacht? Ja, das hatte sie – gleichgültig, wie viel Pein, Lust, Schrecken, Wut oder Liebe sie empfunden hatte. Sie lauschte voller Hoffnung, ob sie etwas von dem geheimnisvollen Entstehen eines neuen Wesens in sich spürte. Oft genug hatte sie Frauen gehört, die behaupteten, sie wüssten es sofort – und recht behielten. Das Bewusstsein, alles richtig gemacht zu haben, würde die Dinge leicht machen, wenn Johann Albrecht nicht zurückkam. Eine Geburt, bei der sie alles rausschreien könnte, was in ihr brodelte – und dann ein gnädiger Tod mit dem Kind. Sie sehnte sich in diesem Augenblick nach der Todesruhe; unheimlich kreisten die Gedanken in ihrem Kopf. Nach wie vor befürchtete sie, Widmannstetter könne dabei sein, sein italienisches Leben wieder aufzunehmen, statt sich in die Höhle des württembergischen Drachen zu begeben. Sollte er aber am beschlossenen Plan festhalten, dann bangte sie noch mehr. Was würden die nächsten Tage und Wochen hier in Landshut von ihr verlangen? Sie konnte sich nicht mehr mit ihm besprechen.
    Kurz nach Tagesanbruch entschloss sich Anna Lucretia, in die Trausnitz zurückzukehren. Sobald sie sich zeigte, kamen ihr aufgebrachte Menschen entgegen. Sie verstand nicht, was geschah – vor lauter Schreien, Fluchen, Gebeten, Jammern. Dann traf sie auf Joris Kärgl, der ihr erklärte, welch schlimmes Unglück passiert war: Sebastian Langhahn, der Soßenkoch, dessen völlig unerwartete Festnahme am Abend davor für mächtigen Aufruhr gesorgt hatte, war gerade tot in seinem Verlies gefunden worden! Trieben böse Geister an diesem bisher so gesegneten Hof ihr Unwesen? Dämonen schienen, so meinte Kärgl, hartnäckig über der Hofküche zu kreisen. Es war zum Verzweifeln. Anna Lucretia unterbrach nur mit Mühe das Klagelied des Küchenmeisters.
    »Ich bitte Euch, Meister Joris, wer hat den Soßenkoch gefunden?«
    »Der Hofrat Weißenfelder, der ihn gestern hat festnehmen lassen, mitten in der Küche. Er konnte nicht einmal seine Camelinesoße fertig abseihen. Der Hofrat wollte ihn heute Morgen schon einem Verhör unterziehen.«
    Anna Lucretia lief schnell über Zerwirk- und Hofstallgebäude durch den von Menschen wimmelnden äußeren Burghof auf kürzestem Weg zum Gerichtsdienerhaus, dem herzoglichen Gefängnis in der Burgmauer. Mit wilder Entschiedenheit zwang sie Neugierige wie auch die Wache zur Seite und drang in den bescheidenen, quadratischen Bau neben dem Hungerturm vor. Dann stand sie vor Weißenfelder. Niemals zuvor hatte sie in ein sorgenvolleres Gesicht geblickt. Er schien immens erleichtert, als er sie wahrnahm. Das hätte sie nicht für möglich gehalten; es gab ihr etwas innere Ruhe zurück.
    »Fräulein von Leonsperg! Gott sei gelobt! Ihr werdet es nicht glauben.«
    »Doch, doch, ich weiß es schon. Der Langhahn ist tot. Ich nehme an, er hat sich das Leben genommen aus Angst vor der hochnotpeinlichen Befragung. Sein Gewissen hat wohl schwer auf ihm gelastet. Wie hat er es getan?«
    »So war es ganz und gar nicht, Fräulein von Leonsperg.« Weißenfelder schüttelte ratlos den Kopf. »Kommt bitte mit mir!«
    Ohne Rücksicht auf ihr Alter, ihr Geschlecht oder ihre Unerfahrenheit führte sie der Hofrat zum Verlies, wo er hinter dem schweren Gitter auf eine eigenartig verkrümmt am Boden liegende Gestalt zeigte.

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