Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
ich heil zurückkomme. Du verstehst, warum.« Ja, das tat sie. Jede Reise, jede Winterreise zumal, barg Gefahren. In diesem Fall kamen andere hinzu, von denen Wölfe, Raubritter und Wegelagerer die harmloseren waren. Herzog Ulrich ließ seine Frau und seinen Sohn sicherlich beobachten. Wer wusste schon, wo seine Komplizen auf der Lauer lagen? Es würde nicht einfach sein, Christoph von Württemberg aufzusuchen. Noch weniger aber, danach unbehelligt Landshut wieder zu erreichen. Das Verschwinden von Sabinas Boten bewies es. »Du verstehst, dass es sein muss, Liebste, es braut sich hier etwas Unheimliches zusammen.«
Anna Lucretia versuchte, tief und ruhig zu atmen, um damit das Stechen in ihrem Herzen und das Zittern ihrer Beine zu kontrollieren.
»Ich bleibe bei dir heute Nacht. Ich kann sowieso nicht mehr woanders hin.« Sie schloss die Lider, als ob sie überrascht über ihre letzten Worte nachdachte. Dann schlug sie die Augen wieder auf und sah in sein über sie gebeugtes, entschlossenes Gesicht. »Johann Albrecht, ich meine es so, wie ich es eben gesagt habe. Du kannst mich wegschicken, dann muss ich wohl allein sehen, was aus mir wird. Ich zwinge mich dir nicht auf, aber ich sage deutlich: Mein Wille ist, heute Nacht bei dir zu bleiben, weil du der erste und vielleicht der letzte Mann bist, mit dem ich eine Nacht verbringe. Bist du einverstanden? Es ist keine Falle. Du kannst Nein sagen. Ich schreie nicht, ich weine nicht, ich gehe auf der Stelle. Du musst keinen Grund nennen. Es ist mir völlig gleichgültig, ob du mich unzüchtig findest oder nicht. Denn sollte es so sein, verbindet uns sowieso nichts mehr. Hast du verstanden?«
Widmannstetter nickte mit ernstem Gesicht. Mit wild pochendem Herzen dachte er zurück an den Moment des Aufwachens in der Küche nach seiner Rettung aus der Löwengrube, als sie ihn noch für bewusstlos hielt. Er erkannte die Bilder aus der erhofften Hochzeitsnacht, die Liebe, die Sorge, die Tapferkeit, die Ernsthaftigkeit.
»Ich schicke dich bestimmt nicht weg. Ich will, dass du bleibst. Ich weiß, was das bedeutet.«
»Gut. Geh in die Arbeitsstube. Wenn ich dich rufe, findest du mich, wie du mich finden solltest.«
Nur kurze Zeit später rief sie nach ihm. Das Bett war offen. Sie saß im Hemd kerzengerade darauf. In dem kleinen Kamin, in den sie mehrere Scheite gelegt hatte, loderten wieder größere Flammen, die etwas Wärme durch den Raum wirbelten. Er, ebenfalls nur im Hemd, schloss sie sofort in die Arme, streichelte ihren züchtigen Zopf, berauschte sich an dessen holzig-pudrigen Geruch, küsste ihre kalte Haut, tastete sich über die Konturen ihres endlich enthüllten Körpers vor, versuchte durch immer neue Zärtlichkeiten, sein zitterndes Warten zu beruhigen. Sie aber zitterte mehr und mehr, zog seinen Mund auf ihren, um mit diesem bekannten Kontakt ihren Mut zu erretten, löste dann aber ihre Lippen von den seinen.
»Dies ist unsere erste Nacht. Ich will alles, was in unserer ersten Nacht nach der Hochzeit gewesen wäre, auch wenn ich ein Kind von dir empfange. Mach! Zeig mir, wie es ist, eine Frau zu werden!«
»Ich will dir nicht wehtun.«
»Du entscheidest nicht, ob es mir wehtut. Du hast Angst davor, mehr als ich, weil du nicht weißt, ob du es je wieder aufwiegen kannst. Bei unserer Hochzeitsnacht hättest du gewusst, es kommen noch viele andere Nächte. Jetzt mach aus mir eine Frau! Halte dich nicht zurück und ich sage dir, wann ich dir dafür verzeihe. Kein Wort, mach!«
Bestimmt, ja fast schon brutal schob er sie unter sich. Wie taub und blind kämpfte er gegen ihre Jungfräulichkeit, nahm keine Rücksicht auf ihr stummes Ausschlagen. Er hätte sich das nicht zugetraut. Ob sie in den Stunden des Sturms ein Wort der Verzeihung sprach, nahm er nicht bewusst wahr. Bleierner Schlaf begrub sie gnädig zusammen.
18
Nach wenigen Stunden Schlaf erwachten sie gemeinsam. Widmannstetter bereitete sich sorgfältig auf die Reise vor. Die drei Briefe von Sabina an ihren Sohn versteckte er in verschiedenen Teilen seiner Reisemontur, genau wie die Geldmünzen und mehrere Messer. Es handelte sich um drei gleichlautende Briefe, da man damit rechnen musste, dass einer gestohlen, verloren oder vernichtet werden würde. Währenddessen zog sich Anna Lucretia so warm an wie möglich. Sie wollte unentdeckt aus dem Turm schleichen, während Johann Albrecht die Wache beschäftigte, und dann im kleinen Muschelpavillon am Stadtblick verharren, bis sie in der Burg erscheinen
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