Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Langhahns Beine waren seltsam verdreht, vielleicht gebrochen; seine völlig verkrampften Hände gruben sich in seinen Hals; sein sonst so fahles Gesicht war unter den roten Haaren tiefblau verfärbt; aus seinen aufgerissenen Augen war die träge Hinterlist verschwunden. Blankes Entsetzen spiegelte sich in ihnen.
»Er ist erdrosselt worden mit einer Würgschraube. Er hält sie noch. Sein Mörder hat sie hiergelassen. Er muss sich sehr sicher gefühlt haben. Alle Türen waren verschlossen. Die Wächter haben nichts gesehen oder gehört.«
Langhahns Anblick bot für Anna Lucretia geringeren Schrecken als ihre Gedanken. Genau in dem Augenblick, in dem Johann Albrecht sie allein ließ, brach hier die Hölle los.
»Dann waren es die Wächter. Oder einer von ihnen. Beide muss man peinlich befragen.«
»Keiner der beiden war letzte Nacht bei ihm, Fräulein von Leonsperg. Der Gerichtsdiener Justus Reminger war im ersten Stock in seiner Schlafstube. Die Schlüssel werden nächtens bei ihm verwahrt. Aber er hat seit drei Tagen schon hohes Fieber und kann sich kaum aufrecht halten. Sein Weib und seine Tochter waren immer bei ihm. Keiner hat etwas gehört. Seine Gehilfen habe ich gestern selbst für die Nacht entlassen. Ich Tor! Reminger hat die Schlafstube der Wache im Torwarthaus nicht verlassen. Mehrere können das bezeugen. Ich dachte, der Reminger oben, die reguläre Wache an der Burgmauer, die Türen und Gitter reichen. Wir hatten doch nur eine Vermutung! Wer hätte das gedacht?«
Anna Lucretia bohrte ihren Blick in die Augen des Hofrats.
»Ich, Doktor Weißenfelder. Das habe ich gestern klar gesagt, nicht wahr? Und Ihr dachtet, ich könnte recht haben. Und auch Johann Albrecht. Und die Herzogin Sabina schon beim Tod des Boten aus Württemberg. Und Ihr hieltet es nicht für nötig, den einzigen Verdächtigen, den wir haben, anständig bewachen zu lassen? Das verstehe ich nicht, Herr Hofrat.«
Weißenfelder schwitzte Blut und Wasser.
»Ist Doktor Widmannstetter weggeritten?«
»Ja, vor der Morgendämmerung.« Sie täuschte kein Unwissen vor. »Weiß mein Vater schon, was sich ereignet hat?«
»Nein. Ich habe selbst die Leiche entdeckt und noch niemanden zur Stadtresidenz geschickt. Ich wage es nicht.«
»Ihr meint also, wir haben es hier mit einem Wesen zu tun, das so listig, so mächtig und so gewandt ist, dass es einen Mann im bewachten, verschlossenen herzoglichen Verlies töten kann, ohne eine Spur zu hinterlassen?«
»Ja, Fräulein von Leonsperg, Ihr versteht mich richtig.« Unendliche Traurigkeit zeichnete sich auf Weißenfelders weisem, bedächtigen Gesicht ab. »Ich kann es noch nicht fassen, weil mir völlig rätselhaft ist, wie und warum hier so ein Unheil über uns hereinbricht. Aber es ist die einzig mögliche Schlussfolgerung. Darf ich Euch bitten, mich in die Stadtresidenz zu begleiten? Wir müssen den Herzog schützen.«
Anna Lucretias Wut, die Gefühle von Verlassenheit und Angst schwanden langsam. Da Weißenfelder nun so schonungslos wie vertrauensvoll seine Rat- und Hilflosigkeit mit ihr teilte, schöpfte sie daraus neue, ungeahnte Kräfte.
»Gewiss, Herr Hofrat. Wir müssen die Ersten sein, die ihm diese Nachricht überbringen.«
Ludwig und Sabina, die neugierig auf das Ergebnis von Langhahns Verhör warteten, waren so bestürzt über die Neuigkeit seiner Ermordung, dass der Herzog nicht mehr versuchte, die Angelegenheit zu verharmlosen. Die Herzogin sah sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt, ihr Bruder fühlte sich ins Mark getroffen. Er war ein guter, friedfertiger, großzügiger Fürst, stets um Ausgleich bemüht. Wer sollte ihm den Tod wünschen und warum?
»Was ist mit dem Baumeister Überreiter?«, fragte er mit matter, hoffnungsloser Stimme. »Vielleicht hat er den Soßenkoch gemeuchelt, damit er nicht gegen ihn aussagen kann?«
Weißenfelder schüttelte traurig den Kopf.
»Nein, Eure Hoheit. Ich habe ihn permanent beobachten lassen.«
»So gut wie den Langhahn?«, unterbrach ihn Sabina bissig.
»Leider weit besser, Ihro Durchlaucht, denn wir ließen ihn ja frei. Er hat seit gestern Abend sein Haus nicht verlassen. Außerdem verstehe ich nicht, wie sich jemand Zugang zum Verlies des Soßenkochs verschaffen konnte.«
»Dann soll er jetzt verhaftet werden«, meinte Ludwig. »Er hat gelogen, er hat geprügelt, vielleicht versucht zu morden, wenn auch ohne Erfolg. Es gibt Gründe, warum er mir und Widmannstetter schaden möchte. Es liegt doch nah, dass er mehr weiß
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