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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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Spital an Erschöpfung und Entbehrung.
    Plötzlich fragte sich Anna Lucretia, warum sie die Heilige Elisabeth so sehr liebte und verehrte. Wohl nicht wegen ihrer Entsagung jeglichen irdischen Glücks, wie sie bisher gedacht hatte. Unter ihrer augenblicklichen Ermüdung und Ratlosigkeit spürte sie ein wildes Verlangen nach Glücksgefühlen, nach Liebe, nach Freude. Dies würde sich gewiss irgendwann legen, sollte Johann Albrecht nicht zurückkehren, aber bei der Heiligen Elisabeth war es anders gewesen. Nur aus Liebe zu ihrem Mann hatte sie das sorgenlose Leben des Hofes ertragen. Ihr irdisches Glück stand ihr im Weg, um dorthin zu gehen, wohin Gott sie rief. Das verbindet uns also nicht, stellte Anna Lucretia verwundert fest. Aber was dann? Die Kompromisslosigkeit? Die Fähigkeit, alles auf einmal in die Waagschale zu werfen, sich keine Hintertür offen zu lassen? Die neu erlangte Gewissheit, zu allem bereit zu sein, um ihr Ziel zu erreichen? Das musste es sein … und die junge Frau wusste nicht, ob diese Eigenschaft nicht zutiefst beschämend war. Das Bild der auf den Kirchenportalen so häufig dargestellten weißen Jungfrauen tanzte ihr vor Augen. Mit gesenktem Blick, sanftem Lächeln und züchtig gefalteten Händen standen sie zur Rechten Christi vor dem Tor zum Paradies in langer Schlange. Auf der linken Seite weinten die törichten Weiber vor dem Höllenschlund. Armeen von Dämonen stießen sie in die ewige Verdammnis, zogen genüsslich an ihren angeketteten, vergeblich flehenden Händen. Mit wirrem Haar und stummem Schrei drehten sie den Kopf zum verbotenen Garten, wo Engelsscharen ihre uneitlen Schwestern singend empfingen. Was bin ich nur, fragte sich Anna Lucretia bang, ohne auch nur den Ansatz einer Antwort zu finden. Die ihr selbstverständliche katholische Lehre der guten Werke half ihr nicht weiter. Was war gut, was war schlecht an ihrem irdischen Tun? Hätte es ihr Beichtvater gewusst? Sie bezweifelte es. Gott allein entscheidet und gewährt uns Gnade, sagte sie sich. Oder auch nicht. Wer sonst? Wie sonst? Anna Lucretia erschrak heftig vor dieser Erkenntnis. Dieser entlaufene Mönch, dieser Martin Luther, predigte genau das. Und mit ihm die ganze feindliche protestantische Partei. In dieser stickigen, verrußten Spitalküche betete sie inbrünstig wie nie, doch weder zur Heiligen Katharina noch zur Heiligen Barbara: »Lieber Gott, Herr Jesu, Heilige Jungfrau Maria, führt mich und schützt mich, denn ich weiß nicht, ob ich auf dem richtigen Weg bin! Doch ich kann nicht anders. Begleitet mich, leitet mich und blickt tiefer in meine Seele, als ich es vermag! Führt mich, wenn ich blind bin und nur den Weg gehe, der sich Schritt für Schritt vor mir öffnet!«
    Als Theresa mit den leeren Körben in die Küche kam, trank Anna Lucretia endlich den Apfelwein, den die Nonnen ihr gegeben hatten, stand auf und ging entschlossen hinaus. Vor der Stadtresidenz bat sie die Kärglerin, allein zur Trausnitz zurückzukehren. Vater und Tante empfingen sie mit Freude und Neugier. Sie erzählte dennoch nur von den vorweihnachtlichen Pflichten und Vorbereitungen. Für mehr war es zu früh, so dachte sie, und für sie selbst zu spät. Sie wollte nur neben der schnarchenden Sabina ruhig liegen. Vielleicht konnte die Nacht etwas Ordnung in ihre Ratlosigkeit bringen. Bevor sie die Augen schloss, lachte Anna Lucretia sich selbst aus: Dummes Mädchen, Eselin! Unzufrieden, wenn du nichts erfährst; unzufrieden, wenn du zu viel erfährst. Dir kann man es nicht recht machen.

20

    Zurück auf der Trausnitz begab sich Anna Lucretia am nächsten Morgen ohne Umwege in die Hofküche. Der Küchenmeister und sein Weib stürzten sogleich auf sie zu.
    »Gut, dass Ihr endlich hier seid, Fräulein von Leonsperg. Es ist also gewiss, dass unser Herzog am morgigen Tag wieder auf die Burg zieht?«
    »Ja, Meister Joris, das ist sicher. Mein Vater wird zur Mittagsstunde hier sein.«
    Theodor Grünberger, der kugelrunde Oberkoch, gesellte sich ungebeten zu ihnen.
    »Verzeiht, Herrschaften, kommt der Signor Soldani ebenfalls zurück? Seine Gehilfen versorgen zwar den Bautrupp, doch finden die Makkaronifresser auf einmal Geschmack an unseren Eintöpfen.«
    »Benehmt Euch, Grünberger! Habt Ihr getrunken? Ich dulde kein freches Benehmen. Begrüßt die Damen!« Der Küchenmeister ließ sich, zur sichtlichen Zufriedenheit seiner Frau, diesen Ton nicht gefallen. Der Oberkoch stierte dumm lächelnd vor sich hin, blieb aber still. »Na los, ich warte

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