Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Feuerstellen neben dem Kamin der großen Mundküche. Weihnachten hin oder her – für die Kranken im Spital vergeudete kein Koch Zeit und Schweiß. Rhythmisch klatschten die Frauen die ausgerollten Teigkreise in runde, eingefettete Eisenpfannen, gossen eine gute Kelle Milch darauf, was laut zischte und dampfte, bedeckten dann alles mit tiefen, glutgefüllten Deckeln, bis aus diesem kleinen Inferno goldglänzende Laibe entstanden waren.
Die zwei schwitzenden, schwer atmenden Mägde erregten Theresas und Anna Lucretias Mitleid. So übernahmen die beiden Frauen das Vierteln der fertigen Rauhnudeln und packten sie dann in Leinentücher. Gleichzeitig versuchten sie zu beobachten, was um sie herum geschah. Doch in diesem Trubel fiel der Herzogstochter beim besten Willen nichts auf. Es war fast unmöglich, etwas zu erkennen. Es rauchte aus den Nudelpfannen, aus dem Kamin, aus den Backöfen, aus dem Riesenkessel in der Siedeküche, wo Grünberger die Würzbrühe für die Mettensau vorbereitete. Auf den Arbeitsblöcken schnitten fleißige Helfer körbeweise Zwiebeln, die gleich nach den Rauhnudeln gebraten werden mussten. Die Karpfen, das traditionelle Mittagessen vor Heiligabend, warteten noch draußen in großen Holzbottichen. Der Würzfond aus Weißwein, Essig, Zwiebeln, Safran, Ingwer, Zimt, Nelken, Salz und Zucker wurde schon vorher zubereitet.
Als Anna Lucretia und die Kärglerin nach getaner Arbeit die Küche mit vier voll beladenen Körben verließen, empörte sich die Herzogstochter über den Oberkoch.
»Was glaubt denn dieser Grünberger, was er sich erlauben kann?«
»In den letzten Monaten eben alles«, meinte Theresa, noch hustend und keuchend von Rauch und Zwiebeldunst. »Er weiß, dass er ein exzellenter Koch ist. Noch am Weihnachtsfest vor einem Jahr war er ein ganz Umgänglicher, ein Gutmütiger. Eure Tante, die Herzogin, wird sich daran erinnern. Ich sage Euch, gnädiges Fräulein, der Langhahn hat ihn rumgekriegt. Womit und warum, das finde ich noch raus. So geht es nicht weiter.«
Anna Lucretia staunte über Theresas Heftigkeit.
»Ist es wegen Eures Mannes, Frau Kärgl? Machen sie ihm das Leben schwer?«
Zu ihrer Enttäuschung zog sich Theresa, misstrauisch geworden, zurück.
»Ja, ja, natürlich, wegen ihm. Man kann ihn nur bedauern, den Ärmsten. Schuftet Tag und Nacht, wird hintergangen und muss sich mit solchen Gaunern plagen. Ich habe es Euch schon gesagt: In dieser Teufelsküche geht es nicht mit rechten Dingen zu. Und jetzt soll der Baumeister dafür büßen. Aber das geht nicht. Nicht mit mir.«
Anna Lucretia fühlte sich brüskiert von Theresa Kärgl; mehr noch: ungerecht behandelt. Doch das Schweigen der Kärglerin gab ihr nicht nur die Gelegenheit, ihre Lungen vom Küchenruß zu reinigen, sondern auch eine Idee zu verfolgen, die in ihr aufkeimte. Ihr Vater kränkelte immer ernsthafter, seit der Oberkoch, glaubte sie Theresa, sich so seltsam unter Langhahns Einfluss verändert hatte. Gab es vielleicht einen Zusammenhang? Bis vor Kurzem hatte Ludwig keine Vergiftungserscheinungen gezeigt. Und bis er mit der Paracelsusdiät angefangen hatte, konnten seine außergewöhnliche Essgier und die Entwicklung des süßen Flusses seinen schlechten Zustand erklären. Reichte das Mordkomplott schon länger zurück, als sie und Johann Albrecht annahmen? Wer waren die Akteure? Was sollte durch den Tod des Herzogs erreicht werden? Es war wirklich zum Verzweifeln.
Stumm grübelnd lieferten Anna Lucretia und Theresa die heiß ersehnten Rauhnudeln im Spital ab. Dort verabschiedete sich die Kärglerin schnell.
»Ein gesegnetes Weihnachtsfest, Fräulein von Leonsperg. Mein Haushalt sieht mich seit Tagen nicht mehr. Gott weiß, was die Mägde treiben.«
Anna Lucretia blieb auf Wunsch der Nonnen noch; sie versicherte ihnen, dass sie bei bester Gesundheit sei. Nach einem Rundgang bei den Kranken verließ auch sie das Spital.
21
Vor dem Spital empfing Anna Lucretia wieder das graue und neblige Wetter. Sie sehnte sich nach ihrem Vater und der Tante, wollte beiden auch vom unmöglichen Verhalten des betrunkenen Oberkochs Grünberger berichten. Obwohl es noch relativ früh am Nachmittag war, tanzten überall hinter grünen Butzenscheiben zitternde Lichter. Kaum war die Tochter des Herzogs um die Spitalsecke zum Roten Turm am Eingang der Altstadt abgebogen, stand vor ihr ein Mann, so breit und so groß, dass es nur der Baumeister sein konnte. Anna Lucretia schrie auf vor Schreck, aber Überreiter packte sie
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