Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
sie und presste sie gegen einen breiten Baumstamm. Vor Anna Lucretias brennenden Augen tanzten aggressive Traumbilder: War es möglich, dass zwei dicke Äste so sehr einem grotesken Halbkörper ähnelten, dessen offene, knorrige Schenkel wild nach dem Himmel griffen? Theresa gefiel der lang vermisste Druck gegen ihren Bauch so sehr, dass sie laut keuchte und seufzte. Diese ihr völlig unbekannte Tonlage ließ die Tochter des Herzogs erstarren. Welches fremde Wesen hatte von der Kärglerin Besitz ergriffen, das sie zwang, sich an Überreiter festzukrallen, sich zu schlängeln und zu winden und an jedem Stück Haut zu saugen, das ihr Mund traf? Dieses seltsame Wesen war mächtig genug, um in dem Mann denselben blinden Geist zu wecken. Auch er keuchte so kehlig, dass die versteinerte Anna Lucretia das Gefühl bekam, das eiskalte Isarwasser wirble sein Kiesbett in der Luft um sie herum. Sie fror erbärmlich – eine Empfindung, die noch stärker wurde, als Theresa mit einer geübten Bewegung ihre Röcke hochhob und Überreiters Hüften mit ihren Beinen umschloss. Aus dem kehligen Keuchen des Mannes wurde das rhythmische Aufstöhnen von schwer arbeitenden Holzfällern. Das fremde Wesen in ihr kreischte und jammerte wie ein bald umfallender Baum unter Axtschlägen. Glühend vor Scham und zitternd vor Kälte spürte Anna Lucretia Regungen in ihrem Leib, die sie kaum in Einklang mit den Kämpfen ihrer ersten verzweifelten Liebesnacht bringen konnte. Plötzlich versteifte sich Theresa und hing bewegungslos an ihrem Liebhaber, während der Geist in ihrem Hals ein schmelzendes Gurren aushauchte. Er wartete geduldig und bewegte sich erst wieder in ihr, als sie ihn ungeduldig dazu aufforderte. Diese zwei Körper kannten sich gut, dachte Anna Lucretia. Dann fiel ihr urplötzlich ein, dass sie sich schnell entfernen musste, wollte sie nicht entdeckt werden.
22
»Gott im Himmel! Kind, du bist krank. Was ist nur los mit dir? Du glühst, hast eiskalte Hände, zitterst am ganzen Körper. Du musst sofort ins Bett.«
Völlig willenlos ließ sich Anna Lucretia von Sabina in deren Kammer in der Stadtresidenz geleiten.
»Ich habe, glaube ich, in den letzten Tagen zu viel gemacht«, versuchte sie der alten Herzogin zu erklären, die sich aber nicht in die Irre führen ließ.
»Zu viel durchgemacht hast du. Und zu viel gedacht. Halt erst mal den Mund!«
Sabinas Kammermägde zogen das Mädchen bis auf das Hemd aus und befreiten ihre braunen Locken von Zöpfen und Bändern, während Sabina eigenhändig den kupfernen Bettwärmer mit Glut füllte und sorgfältig zwischen die Bettlaken zog. Dann deckte sie ihre Nichte mit Daunen- und Felldecken zu. Die Mägde gossen heißes Wasser in Steinflaschen und rollten diese in Leinentücher. Der frierenden Anna Lucretia legten sie je eine Flasche unter den Fuß, eine auf den Bauch und noch eine in ihre Halsbeuge. Sie nahm es kaum wahr. Ihr Herz schlug heftig, einen vernünftigen Gedanken konnte sie nicht mehr fassen.
»Du hast Fieber, Kind. Ruh dich aus! Ich bringe dir etwas dagegen.«
Doch zunächst war Sabina ratlos. Das Fieber wollte sie vertreiben, also musste sie eine Abkühlung des Blutes bewirken. Das sprach für ein Gerstenwasser. Doch war ihre Nichte unterkühlt, würde sie das mit einem Glühwein bekämpfen müssen. Schließlich entschloss sich die Herzogin für den Glühwein, dem sie keine hitzigen Gewürze zufügte. Sie versetzte ihn mit einer guten Portion Eschenrinde gegen das Fieber, dann mit Diptamrinde, die sowohl das Fieber senken als auch die Bitterkeit der Esche lindern sollte, und endlich Honig, der nie verkehrt war.
Während die Herzogin das alles in der kleinen Küche der Stadtresidenz unter Soldanis neugierigen Blicken vorbereitete, meinte Anna Lucretia unter ihren Decken, sie müsse bald sterben. Kälte und Hitze quälten sie; jeder Muskel und jedes Stückchen Haut schmerzten. Doch am schlimmsten waren ihre Gedanken. Wer war Langhahns geheimnisvoller Auftraggeber? Wo musste man ihn suchen? Brachte sie sich damit in Gefahr? War der Unbekannte in Landshut? Wie viele Helfer hatte er? Waren alle in der Küche an dieser Verschwörung gegen ihren Vater beteiligt? Was sollte sie nur tun mit Überreiter und der Kärglerin? Sie ekelte sich vor dem ängstlichen Mann, der um ihre Liebe buhlte und um ihre Hand anhalten wollte, um dann wie ein wildes Tier eine verheiratete Frau an einem Baumstamm aufzuspießen. Doch gleichzeitig log sie diesen Mann kaltblütig an und köderte ihn
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