Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
Vom Netzwerk:
Minnesängers? An die nächsten Zeilen erinnerte sie sich mühelos. ›Im Himmel verfolgt uns der nackte, weiße Mond. Eisig ist sein Lächeln, wie auch unsere Herzen. Tot ist unsere Jugend, wie unsere Lieben es auch sind.‹ Hörte sie da den Tod Johann Albrechts über weite Fluren und Berge? War das ihre Strafe für die begangenen Sünden? Sie empörte sich heftig gegen Gott. Sündigen kann man nur, wenn man sich bewusst gegen das Gute und Richtige entscheidet. Habe ich das je getan?, klagte sie ihn an. Seit der Nacht, in der Johann Albrecht in der Löwengrube beinahe gestorben ist, lässt du mich im Dunkeln. Ich muss handeln und weiß nie, ob richtig oder falsch. Muss ich so dafür büßen, weil ich Vater und Verlobten schützen will? Vielleicht muss ich dafür büßen, weil ich überhaupt im Dunkeln handle. Die Wege Gottes sind unergründlich. Die weise Jungfrau schweigt, betet, akzeptiert demütig, was Gott wirkt. Bin ich hochmütig? Das hätte ihr Beichtvater, der Hofkaplan Johannes Landsberger, sagen können.
    »Wäre es keine schlimmere Sünde, die Unschuldigen tatenlos dem Tod und der Schande zu überlassen? Wie es einst Pontius Pilatus mit Gottes Sohn tat? Woher soll ich es wissen? Wie soll ich entscheiden?«, rebellierte sie. Wieder kam ihr der ketzerische, der lutherische Gedanke, dass Gott allein in unseren rastlosen Herzen liest – besser, als wir selbst es vermögen. Er allein, nicht wir, nicht jemand anderer in diesem Leben, weiß, ob und welche Gnade wir verdienen. Denn seine Wege sind unergründlich. Etwas von ihrer schrecklichen Anspannung löste sich bei dieser Vorstellung. Sie wusste zwar nach wie vor nicht, was mit Johann Albrecht und mit ihr geschehen würde. Wusste nach wie vor nicht, ob sie den Baumeister weiter ködern sollte und wofür. Wusste noch weniger, ob sie die eifersüchtige Theresa näher einweihen müsste, um das gefährliche Spiel zwischen den beiden zu beenden. Und doch sah sie sich außerstande, einen anderen Weg einzuschlagen. Warum, blieb ihr verborgen. Nun betete sie leise.
    »Ich hoffe, du liest in meinem Herzen besser, als ich es vermag.«
    Ihr Gefühl der Verlassenheit war gewichen. Vielleicht gehörte das schon zu den zahlreichen Wundern der kommenden Nacht? Endlich verspürte sie einen schwachen Antrieb, den Tag zu beginnen.

23

    Die Rückkehr der herzoglichen Familie auf Burg Trausnitz wurde von den Landshutern überschwänglich gefeiert. Dieselben Leute, die in den Tagen davor Anna Lucretia gemieden hatten, riefen dem sichtlich gesunden Ludwig auf seinem Pferd und seiner Schwester unzählige Glückwünsche zu. Zum ersten Mal schneite es heftig, was dem fröhlichen Trubel dennoch keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Man würde noch froheren Herzens in der Nacht schlemmen und morgen die Schlitten anspannen, um lachend durch die weiße Landschaft zu jagen.
    Am großen Brunnen ließen sich die Mägde, manchmal sogar ihre feinen Herrinnen die dicken Karpfen aus glänzenden Zinnbecken holen. Zu Füßen der Händler, die die Fische mit geübtem Schlag auf den Kopf töteten, färbte sich der Neuschnee rot. Vor dem Salzstadel standen Ärmere Schlange, die ihre weihnachtliche Salz- und Getreidegabe empfingen. Die Ratsherren, jeder mit prächtiger Kopfbedeckung und in einen langen, pelzgefütterten Mantel gehüllt, ließen es sich nicht nehmen, diese milde Gabe höchstpersönlich zu überwachen. Der trübsinnigen Herzogstochter tat das bunte Gewimmel in den Augen weh: die roten Holzdächer der Weihnachtsläden am Rathaus; die grünen Beinlinge der jungen Männer; die Ratswächter in rotgelben Kleidern; überall Zitronengelb – hier ein Umhang, eine Kapuze, ein Barett, da eine Schaube, ein Leibchen oder gar kunstvoll geschlitzte Ärmel. In Anna Lu-cretias Gemüt herrschte an diesem Morgen nur Düsternis.
    Auf der Trausnitz empfingen Hof und Gesinde mit den Narren ihren Fürsten mit ohrenbetäubendem Freudengeschrei – so laut und so durchdringend, dass Hunde, Geflügel und Pferde bald heftig darin einfielen und die Löwen aus ihrem Schlaf erwachten. Ludwig frohlockte, als er das Brüllen seiner sonst eher trägen Raubtiere vernahm: Für ihn war das ein gutes Omen. Sabina hingegen ließ sich nicht davon beeindrucken.
    »Sobald sich dein Vater in seinen Gemächern befindet«, raunte sie ihrer Nichte zu, »sehen wir beide uns in der Küche um.«
    »Wie Ihr wollt, Tante«, seufzte Anna Lucretia ergeben.
    »Sei nicht so entmutigt! Ich bitte dich!«, knurrte die Herzogin. »Das muss

Weitere Kostenlose Bücher