Sumerki - Daemmerung Roman
Fieber nicht ein Omen gewesen sei und wir nicht zurückzukehren sollten, solange wir noch nicht alle gestorben seien, jedoch niemand auf ihn hörte, da die Leute noch immer hofften, den Schatz zu finden, der nun, selbst wenn er aufgeteilt würde, jedem Reichtum im Überfluss verhieß.
Dass ich den Wegführer fragte, ob uns noch ein langer Weg bevorstünde, und dieser antwortete, es sei nicht mehr weit zu gehen, und bald werde sich ein Weg zeigen, auf dem wir viel schneller vorankämen.
Dass Juan Nachi Cocom sich von nun an stets neben mir hielt und mich nur verließ, um auf die Jagd zu gehen. Dass wir aus diesem Grunde gemeinsam an der Spitze der Abteilung gingen, da er den Weg zeigen musste, und die anderen hinter uns folgten. Dass dieser schweigsame Indio aus Dankbarkeit viel mit mir zu reden begann, mir das Leben des Waldes erklärte und manches Mal erstaunliche und einem Spanier schwer begreifliche Legenden seines Volkes berichtete, die er sehr gut kannte, obgleich er doch eine Schule beim Kloster besucht hatte. Dass er einmal, als die anderen ein gutes Stück zurückgeblieben waren, mich fragte, was ich von der Chronik der Zukunft wisse.
Dass ich diesen seltsamen Ausdruck für einen Fehler in seiner spanischen Sprache hielt, die er zwar gut, manchmal jedoch mit gewissen Schwierigkeiten beherrschte. Dass Juan Nachi Cocom, als ich ihn deswegen
ermahnte, sich nicht verbesserte, sondern auf seinem Wort beharrte und mir flüsternd mitteilte, der Auftrag unserer Expedition sei es, eben diese Chronik zu erlangen, nicht etwa irgendwelche Schätze, die es in dem Tempel möglicherweise gar nicht gebe.
Dass uns aber in diesem Augenblick Fray Joaquín erreichte und den Indio nach einigen Kräutern, die er gefunden hatte, und ihren Eigenschaften auszufragen begann, so dass unser Gespräch hier unterbrochen wurde.«
Durch die Seite hindurch, die ich gerade las - bis zu ihrem Ende fehlten nur noch wenige Zeilen -, hatte ich trotz der Dicke des Papiers und seiner über die Jahrhunderte erworbenen gelblichen Färbung schon die ganze Zeit etwas Dunkles erkennen können, das auf dem nächsten, darunter liegenden Blatt abgedruckt oder gezeichnet war. Ich hielt es für eine weitere Illustration und unterdrückte meine Neugier eine ganze Weile, aber als ich bei dieser Stelle ankam, hielt ich es nicht mehr aus, zog das Blatt weg und erstarrte: Was ich für einen Druck oder eine Zeichnung gehalten hatte, war nichts anderes als ein brauner Fleck mit bizarren Formen. Ich zweifelte keine Sekunde: Es war Blut, und der rostroten Farbe nach zu urteilen war es vor nicht allzu langer Zeit vergossen worden.
In der Schule hatte ich ein paarmal Nasenbluten gehabt und dabei zugesehen, wie die Blutflecken allmählich auf meinen karierten oder linierten Heftseiten trockneten. Die Oberfläche solchen Papiers ist glatt, damit die Kugelschreiber gut darübergleiten, und wenn hellrote Blutstropfen darauf fallen, so erstarren sie und bleichen langsam aus, je mehr Erythrozyten ersticken und absterben. Die Farbe in den
Schulheften verteilt sich ungleichmäßig: Die Schwerkraft sowie molekulare Bewegungsvektoren sammeln das Blut an einer bestimmten Stelle des Flecks, und genau dort ist das Papier am Ende am dunkelsten gefärbt.
Dieser Exkurs mag auf den ersten Blick unwesentlich erscheinen, doch während ich den blutigen Klecks vor mir anstarrte und mein wild schlagendes Herz zu beruhigen versuchte, konnte ich an nichts anderes denken. Der Fleck war großflächig und völlig gleichmäßig gefärbt. Das alte Papier hatte das Blut gierig eingesogen, ohne sich zu verwerfen, ebenso wie die Erde nach einem trockenen Julimonat schier unersättlich Wasser aufnimmt, so viel man auch gießen mag.
Für normales kariertes und liniertes Schulpapier ist ein derart vampirischer Durst untypisch. Nicht einmal die gigantischen Fabriken der postsowjetischen Schreibpapierindustrie, die jährlich Hunderte Tonnen von Schulheften hervorbringen, sind in der Lage, dem Papier Leben einzuhauchen. Das Papier des spanischen Tagebuchs war dagegen geradezu fühlbar lebendig …
Der Fleck befand sich unten auf der nicht ganz vollgeschriebenen Seite - etwa auf gleicher Höhe wie der hässliche Chaac am Ende des zweiten Kapitels; vielleicht hatte ich ihn auch deshalb zunächst für eine Illustration gehalten. In Klecksen lassen sich - wie bei Wolken - unendlich viele verschiedene Formen erkennen, wie jeder weiß, der beim Psychotherapeuten schon mal einen dieser
Weitere Kostenlose Bücher