Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
Vom Netzwerk:
instinktiv die Blätter des spanischen Tagebuchs unter den Haufen aus Schreibmaschinenpapier. Dann erhob ich mich widerstrebend und machte einen ersten, unsicheren Schritt. Der Weg bis zur Wohnungstür fiel mir schwer: Die Luft schien plötzlich dicker geworden zu sein, gleichsam gesättigt mit Angst. Wie eine Wand aus Wasser verstellte sie mir den Weg, schien mich sogar zurückschieben zu wollen.
    Als ich den Eingang endlich erreicht hatte, schaute ich nicht gleich durch den Spion, sondern drückte zuerst ein Ohr an die Tür und verharrte reglos. Deutlich konnte ich das geschäftige Knistern des Stromzählers über mir hören, das Glucksen der Wassertropfen, die in der Küchenspüle in einem Topf landeten, das Bellen und Heulen von Hunden irgendwo draußen auf der Straße … Hinter meiner Tür aber vernahm ich nichts: Niemand sagte etwas, niemand trat von einem Bein aufs andere, niemand räusperte sich,
um mir diese nächtliche Ruhestörung zu erklären. Vielleicht konnte ich wenigstens ein Atmen hören. Ich hielt die Luft an, schloss die Augen …
    … und sprang sogleich wie betäubt zurück. Wieder schlug etwas dreimal gegen die Tür, und zwar genau an die Stelle, auf die ich mein Ohr gelegt hatte.
    »Wer ist da?«, rief ich, kurz davor, in hysterisches Kreischen auszubrechen.
    Mindestens eine Minute lang wartete ich auf eine Antwort. Sobald ich hindurchschaue, schießt der durchs Guckloch, dachte ich plötzlich. Wie die Auftragskiller im Film. Eigentlich idiotisch, die Vorstellung, aber ich musste ständig an die Warnung unter dem Blutfleck denken. Ich war auf alles gefasst.
    Die Hunde im Hof heulten immer lauter, es klang Mitleid erregend. Sie schienen sich nicht weit von meinem Hauseingang zu befinden. Seltsam, streunende Hunde hatte es in unserem Hof nie gegeben. Und wer sollte auf die Idee kommen, mitten in der Nacht mit seinem Hund Gassi zu gehen? Und selbst wenn, warum sollte ein Hund während eines Spaziergangs mit seinem Herrchen plötzlich zu heulen beginnen? So was hatte ich noch nie gehört … Alles Mögliche ging mir durch den Kopf, aber den Gedanken daran, dass ich gerade vor meiner eigenen Wohnungstür hockte und draußen jemand auf mich wartete - diesen Gedanken verdrängte ich, so gut es ging.
    Am Ende war es nicht mein Mut, der mir aus der Patsche half, sondern meine Scham. Scham darüber, wie lächerlich meine Lage war. Dass ich ein unbekanntes Spiel nach fremden Regeln spielte, die jemand mir aufzwang. Dass meine
Gegenspieler mich dazu gebracht hatten, zu vergessen: Nichts davon war ernst gemeint. Es war nur ein schlechter Scherz, weiter nichts. Was um Himmels willen hatte ich hier auf dem Parkett zu suchen? Warum versteckte ich mich vor meinen Ängsten wie ein Sechsjähriger?
     
    Ich war sechs, als mir eine seltsame Geschichte zustieß. Meine Eltern hatten mich allein zu Hause gelassen. Was sie übrigens recht oft taten. Ich war stets ein ruhiges, selbstständiges und berechenbares Kind gewesen, keinesfalls autistisch veranlagt, aber doch so genügsam, dass Mutter und Vater weder moralische Gewissensbisse hatten noch sich irgendwie sorgen mussten. Der Junge war so gut wie erwachsen, er würde nie etwas anstellen, sondern ganz ruhig mit seinem Baukasten spielen oder ein Buch lesen - kurz: ein Engel, ganz anders als Nachbars Lümmel. Was unbekannte Erwachsene anging, die an unserer Tür klingelten, so hatte ich genaueste Anweisungen. Zeigte sich im Türspion eine fremde Person, so war es strengstens verboten zu öffnen. Ob Milizionär, Feuerwehrmann, Klempner - egal, wie die Person aussah, was sie auch sagte -, ich durfte mich nicht einmal nach dem Namen erkundigen, ebenso wenig wie mir erlaubt war, auf der Straße fremde Personen anzusprechen oder auf ihre Fragen zu antworten. Und ich glaubte fest daran, dass dieser einfache Verhaltenskodex mich vor jeglicher Gefahr bewahrte. Für den Extremfall blieb noch das Telefon im Zimmer der Eltern, auf dem sie die Nummer des nächsten Milizreviers notiert hatten. Aber dazu war es nie gekommen.
    An jenem Abend, von dem hier die Rede ist, geschah jedoch etwas Unvorhergesehenes. Es hatte bereits zu dunkeln
begonnen, und ich war, glaube ich, in die Küche gegangen, um mir ein belegtes Brot zu machen.
    Das Geräusch kam aus dem Nebenzimmer. Die Tür stand leicht offen, jedoch nicht so weit, dass ich vom Flur aus hätte sehen können, was dort vor sich ging. Es war laut und deutlich zu hören, so dass eine Verwechslung unmöglich war. Die ungewöhnliche

Weitere Kostenlose Bücher