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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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heimtückischen Rorschach-Tests machen musste. Was für den einen Patienten wie ein Schmetterling aussieht, wird von einem anderen
als Atompilz wahrgenommen, und von einem Dritten als siamesische Zwillinge im Profil. Rorschachs Erfindung ist nichts anderes als eine Art Stimmgabel für die menschliche Seele.
    Wie es aussah, war meine Seele schon ziemlich verstimmt. Einerseits war mir völlig klar, dass der braune Fleck auf dem Papier ein genauso sinnloser Klecks war wie die zerflossene Tusche auf den psychologischen Testbögen; andererseits formten seine Linien ganz eindeutig die Silhouette eines fantastischen Tiers. Das gleichmäßig ausgetrocknete Blut machte das Bild nur noch unheimlicher und unwirklicher: Es war nicht verteilt worden, um eine unheilvolle Ähnlichkeit zu erzeugen, sondern hatte sich gleichsam von selbst so auf das Papier gelegt, das wiederum sogleich die ganze Flüssigkeit aufgesogen hatte.
    Den Bleistiftabdruck bemerkte ich erst nach einer Weile. Sämtliche Spuren waren sorgfältig ausradiert worden, und ein großer Teil der Schrift war durch den Fleck unleserlich geworden. Nur der russische Endbuchstabe »j« lugte unter der Schicht hervor, und ich hätte ihn glatt übersehen, wenn ich nicht so genau die Umrisse des Kleckses betrachtet hätte. Ohne recht zu begreifen, was ich tat, nahm ich meinerseits einen Bleistift und begann mit leichten, gleichmäßigen Strichen über den Fleck zu malen. Der konspirative Trick aus meiner Kindheit schien zu klappen; am Ende beförderte die graue Schraffur vier in russischer Sprache geschriebene Wörter ans Tageslicht: »Oni idut sa mnoj« - »Sie kommen mich holen«.
    So erstaunlich und töricht es scheinen mochte, aber noch bevor ich mich zu sorgen begann, spürte ich etwas anderes:
Eifersucht. War ich also doch nicht der Erste, der das Tagebuch in diesem Abschnitt des Raum-Zeit-Kontinuums gelesen hatte? Hatte ich mein Privileg auf gesonderten Zugang zu den Rätseln der Maya verloren, ebenso wie die ehrenvolle Aufgabe, meinen unbekannten Auftraggeber übersetzenderweise durch die tropischen Wälder Yucatáns zu führen? Der Bleistift in meiner Hand zerbrach mit knackendem Geräusch in zwei Teile.
    Verdutzt blickte ich auf meine geballte, vor Anspannung fast weiße Faust und ließ die Splitter fallen. Erst jetzt erfasste mich allmählich die Angst. Wer auch immer diesen Bericht vor mir übersetzt hatte - es hatte für ihn kein gutes Ende genommen. Und ich stieg ihm nach, immer tiefer hinab in den Abgrund dieser Geschichte. Rings umher war nichts als Finsternis; das helle Quadrat der Eingangstür weit über mir, dessen Anblick mich zuvor noch ermutigt hatte, da es eine Fluchtmöglichkeit verhieß, war nicht mehr zu sehen.
    Es blieb nichts anderes übrig, als den Abstieg fortzusetzen. Vom Ende des Kapitels trennten mich nur noch zwei Absätze.
     
    »Dass uns bereits am nächsten Tage ein segensreiches Glück widerfuhr, da unsere Abteilung an den Rand des Waldes kam, und von dort aus auf einmal eine treffliche Straße ihren Anfang nahm, gepflastert mit herrlichem weißen Stein. Dass ich solche Straßen bereits an anderen Orten gesehen hatte, doch diese hatten stets irgendwohin geführt, waren in üblem Zustand und vom Wald überwuchert gewesen. Dass es aber schien, als sei diese Straße erst vor einem oder zwei Jahren errichtet worden, und die Bäume hielten sich von ihr fern, so dass sie sogar einen Wegesrand hatte.

    Dass Juan Nachi Cocom diese Straße ›sakbe‹ nannte und sagte, sie sei den Indios heilig und heiße bei ihnen ›Straße des Schicksals‹. Und dass wir, bevor wir unseren Fuß darauf setzten, wissen sollten, dass es auf ihr keinen Weg zurück gebe.«
     
    Kaum hatte ich die letzten Zeilen gelesen, da ertönte plötzlich ein Donnern, als ob in der Stille meiner Wohnung unvermittelt ein Gewitter ausgebrochen wäre. Jemand schlug fordernd und mit ungeheuerer Kraft gegen meine Wohnungstür.
    Ich blickte mechanisch auf die Uhr.
    Die Zeiger standen auf halb drei.

LA INTRUSIÓN

    E inige Sekunden saß ich wie gelähmt da, überrumpelt von dem völlig unerklärlichen Geschehen. Auf die Donnerschläge folgte eine betäubende Stille. Krampfhaft versuchte ich mir einzureden, dass ich mir das Klopfen nur eingebildet hatte, oder wenigstens dass es nicht meine Tür, sondern die eines Nachbarn gewesen war.
    Drei neue Schläge, deutlich voneinander getrennt, brachen auf meine - ja, auf meine - Tür herein. Schlagartig erwachte ich aus meiner Starre und schob

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