SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
tranceartigen Dämmerzustand hinabzusinken, den er im Fluss treibend durchlebt hatte. Er setzte einen Schritt vor den anderen, den Blick geradeaus gerichtet.
Er wusste nicht, wie lange er durch die Nacht gestolpert war, den Weg an der bewaldeten Talflanke ansteigend, ehe er das erste Haus erreichte. Ein kleines Anwesen, altes Holz. Der Weg unter seinen Füßen war schotterig, das Haus war vor einigen Jahrzehnten hier erbaut worden und etwas heruntergekommen. Vor dem niedrigen Holzbau parkte ein Volvo, der annähernd so alt aussah wie das Gebäude.
Havering schmunzelte ab seinem eigenen Unsinn. Irrsinn? Wahnsinn? Er wusste es nicht mehr.
Mit letzter Kraft kämpfte er sich die kleine Treppe zur Eingangstür hinauf und klingelte. Ein Licht ging an. Es war jemand zu Fause.
Die Tür ging auf. Das Lichte blendete Havering. Vor ihm stand eine Frau um die fünfzig. Sie sprach ein paar eindringliche Worte, fragte etwas, was Havering nicht verstand. Wohl eine einheimische Sprache. Das Licht wurde schwächer.
Hat sie es ausgemacht?
Havering versuchte, der Frau mitzuteilen, dass sie keine Angst zu haben brauche und dass sie nicht die Polizei rufen solle. Sie schien ihn nicht zu verstehen.
Er sank in sich zusammen.
4
Havering erwachte schweißgebadet. Er befand sich in einem niedrigen, alten Zimmer mit Holztälerung. Draußen war es hell, heftiger Aprilregen fiel gegen die Fensterscheibe und das Dach. Das Haus war ziemlich hellhörig.
Wie lange habe ich geschlafen? Wo bin ich?
Die Ereignisse der Nacht tauchten vor seinem geistigen Auge auf, alles war noch da. Er schaute sich um. Neben seinem Bett war sein halbzerfetzter Anzug an einem Kleiderbügel aufgehängt, auf einem Stuhl lagen sein Hemd, seine Brieftasche und sein PDA.
Meine Kohle sollte also noch da sein, knapp 800 Dollar, wie immer ausreichend Bargeld für Ermittlungen und Gefälligkeiten. Das reicht für eine Weile. Wo sind meine Pillen? Und mein PDA! Himmel hilf, dass er noch funktioniert!
Havering griff nach dem Gerät und schaltete es ein. Es war ein sehr robustes Modell, welches allem Anschein nach die Strapazen besser überstanden hatte als er selbst – und als er erwartet hatte. Die Ernüchterung folgte jedoch auf dem Tritt. Er konnte keine verschlüsselte Verbindung zum Dienstserver herstellen, auch der zweite Versuch schlug fehl. Ein Netz war da, auch die Datenverbindung klappte. Daran konnte es nicht liegen. Jemand musste seinen Zugang blockiert haben.
Havering hatte ein paar wenige seiner digitalen Aufzeichnungen noch auf dem Gerät abgelegt bei den Notizen. Er ging die Handvoll Zeilen durch.
Da! Sean Wynter, Wohnadresse in Zürich, eine Hotelsuite. Telefonnummer privat und im Büro sowie seine Mobilnummer.
Havering räusperte sich und wählte die Büronummer. Wynters Assistentin nahm den Anruf entgegen. Havering gab sich als ein Arbeitskollege von Wynter aus dem Regierungsstab aus, unter Angabe seiner Tarnidentität, Thomas Aloy. Sie akzeptierte seine Angaben und erteilte ihm bereitwillig Auskunft. Herr Wynter befinde sich gerade bei einer Besprechung in Bern.
Ein Meeting in der Botschaft in Bern? Was zum Henker hatten wir dann hier in den Bergen verloren?
Nein, ein Aufenthalt in der Bergresidenz sei nicht geplant. Herr Wynter werde den Rest der Woche in Zürich mit diversen Geschäften beschäftigt sein, er sei komplett ausgebucht. Für Freitagabend sei Herr Wynter zu einem Empfang bei einem befreundeten Geschäftsmann eingeladen.
Geschäftsmann? Sein Name?
Mr. Jacob Marson, Mitglied der Geschäftsleitung von PhyCorp.
PhyCorp – Der Militär- und Sicherheitskonzern. Durchaus ein Treffen im üblichen Rahmen also. Die Regierung bezieht massenhaft Diensteistungen von PhyCorp und ähnlichen Anbietern.
Havering bedankte sich und beendete das Gespräch.
Er öffnete den Browser seines PDAs, rief die Website eines amerikanischen Newsportals auf und ging die Meldungen durch. Um ein Haar hätte er das Gerät fallen lassen.
«Skandal bei Drogenbehörde – Hoher Beamter des DEA verhaftet!»
Unter der Kopfzeile fand sich ein Video. Havering rief es auf. Seine Finger zitterten.
Die Bilder zeigten Walter Benjamin, wie er in Handschellen aus dem Hauptgebäude in Arlington geführt und in eine schwarze Limousine gesetzt wurde. Zwei Ermittler in grauen Mänteln versuchten, den General gegen Fotoaufnahmen und Fernsehkameras abzuschirmen.
Trotz der vielen Kameras und dem Gedränge um ihn herum gelang es dem
Weitere Kostenlose Bücher