SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
hergeholt, und der hat keine schwerwiegenden Verletzungen festgestellt. Außer einer gebrochenen Rippe und verschiedenen Prellungen. Sie hatten wohl Glück. Wo sind Sie denn gestürzt?»
«Ich war am Fluss unterwegs, wie es halt so geht. Zwischen hier und Ilanz irgendwo. Gestrauchelt, ins Wasser gefallen. Pech gehabt. Ich glaube ich war ein paar Stunden weggetreten.
«Phew. Klingt nicht gut.»
«Ja, dumm gelaufen. Aber auf jeden Fall vielen Dank dass Sie meinen Wunsch respektiert haben. Sie müssen wissen, das ist so eine Glaubenssache. Privat halt. Nein, ich möchte offen mit Ihnen sein. Ich bin streng gläubig und lehne Bluttransfusionen ab. Allgemein halte ich mich von Krankenhäusern fern, wenn es irgendwie anders geht. Ich hoffe, Sie verstehen!»
«Sie sind ein Zeuge Jehovas? Nun ja, wir respektieren das auf jeden Fall. Solange Sie uns nicht bekehren wollen.» Sarah lächelte und erfreute damit Haverings Herz.
«Ja, äh, nein. Wo denken Sie hin! Natürlich nicht, keine Sorge. Ich werde in mein Hotel zurückkehren, sobald ich aufstehen kann und Ihnen und Ihrer Mutter nicht mehr länger zur Last fallen.»
«Der Herr Doktor Malanser wird heute Nachmittag noch einmal nach Ihnen schauen.»
«Wieviel Uhr ist es?»
«10 Uhr morgens. Ich werde Ihnen nachher nochmal etwas Suppe bringen. Das wird Sie stärken, ich habe Ihnen bereits ein paar Mal davon verabreicht.»
5
Als Sarah eine halbe Stunde später mit der Suppe zurückkehrte, war das Zimmer bis auf einen Hundert-Dollar-Schein auf dem Bett verlassen. Nach dem Mittag traf der Landarzt wie abgesprochen beim Haus ein; nach kurzer Unterredung mit den beiden Frauen fuhren er und die zwei Kantonspolizisten, welche er mitgebracht hatte, unverrichteter Dinge wieder zurück nach Ilanz.
Etwa zur selben Zeit bestieg ein Mann in einem neuen Anzug ein Taxi in einem kleinen Ort namens Strada in der Nähe von Ilanz. Er hatte den rechten Arm in einer Armschlinge unter dem Mantel verdeckt.
«Zum Bahnhof, bitte.»
Zehntes Kapitel
Fremde Angelegenheiten
1
Vince drehte sich eine weitere Zigarette. Blauer Dunst hing im heruntergekommenen dunklen Wohnzimmer. Eine verstaubte Stehlampe zwischen Sofa und Sessel, wo Vince und Tony saßen, war die einzige Lichtquelle. Rauchschwaden zogen an der Glühbirne vorbei.
Vince hatte eben aufgehört zu erzählen; nun war es Tony, der ins Leere starrte.
Kaum zu glauben. Sagt er die Wahrheit? Verdammt! Es wäre wesentlich einfacher, dem Kerl auf den Zahn zu fühlen, wenn mein Kopf nicht dermaßen brummen würde.
Tony ließ die Unterhaltung noch einmal Revue passieren:
Die Unterredung hatte mit eine kurzen Schilderung von Tony mit den Geschehnissen in New York und Paris angefangen, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Er hatte Vince auch erzählt, was er beruflich machte und warum er hier war. Und seinen Pass gezeigt, um endgültig zu beweisen, dass er Carls Bruder war.
Vince hatte ihm aufmerksam zugehört und ihn eindringlich gemustert – wie ein Ermittler in einem Verhör – hatte aber keine Fragen gestellt. Nach Tonys Zusammenfassung hatte Vince tief durchgeatmet und seinerseits mit den Ausführungen begonnen.
«Ich habe Carl vor rund neun Monaten in einer der dreckigsten Absteigen von Paris namens Port Virginie kennengelernt. Ich hab mich öfters in diesem und ähnlichen Lokalen rumgetrieben zu der Zeit. An dem besagten Abend war ich allerdings nicht zufällig in dem alten Puff gewesen. Drei Tage zuvor hatte ich in meinem Briefkasten eine anonyme Nachricht in einem blanken Umschlag aufgefunden. Darin stand, ich solle mich um Mitternacht im Port Virginie an der Bar einfinden, es würde sich für mich lohnen. Es ginge um ein Geschäft. Signiert war der Zettel gewesen mit ein Freund .»
Vince ließ sich Zeit mit seinem Bericht. Die Situation war ihm offensichtlich nur halbwegs angenehm.
«Ich habe damals viel getrunken. Nein, gesoffen hab’ ich. Mich richtiggehend weggeballert. Jede Nacht!»
Vinces Worte hallten in Tonys Kopf nach.
Anscheinend trinkt er heute nur noch halbe Gläser Scotch auf einmal, statt bis an den Rand gefüllte. Er sieht das wohl als Fortschritt an.
«Ich bin also an dem Abend zum Virginie gegangen und war wie üblich schon etwas angetrunken. Carl tauchte pünktlich auf und gab sich als der anonyme Absender der Botschaft zu erkennen. Wir haben uns an einen etwas abseits stehenden Tisch gesetzt, über dies und das geplaudert – so gut das ging im Rausch, Lärm und Rauch des
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