SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
einfachen Holztisch an der Rückwand.
«Gehen Sie zum Tisch, legen Sie den Koffer darauf ab und die schriftlichen Anweisungen für den Auftrag separat daneben! Notieren Sie den Code auf ihrer Armbanduhr und die genaue Uhrzeit! Danach verlassen Sie das Gebäude! Besten Dank.»
Die Stimme kam vom Band und wurde nach zehn Sekunden wiederholt. Dreimal. Dann verstummte sie.
Tony guckte sich um und konnte nicht erkennen, wo sich das Gerät befand oder woher die Stimme genau kam. Er schritt zum Tisch und legte den Koffer mit der halben Million auf die leere Holzfläche. Er holte aus seinem Jackett die schriftlichen Instruktionen für den Einsatz hervor und legte das Blatt auf den Koffer. Darauf war der Auftrag genau umrissen. Uhrzeit, Ort, Ziel. Er sah auf die Uhr, die er Kranyek abgenommen hatte, und notierte zuoberst auf das Papier die vier Ziffern, welche die Uhr anzeigte. Daneben die genaue Uhrzeit.
Er ging nach unten und machte sich auf den Rückweg zum Mietwagen.
9
Walter Benjamin fand keinen Schlaf. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, nagten an ihm. Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, das Gebilde fügte sich einfach nicht zu einem Ganzen. Er griff nach dem Wecker auf seinem Nachttisch. Die Digitaluhr zeigte 03.49 Uhr. Für einen Moment meinte er, ein Geräusch im Haus gehört zu haben. Der General ächzte, streckte sich und schlüpfte aus dem Bett. Er kannte diese Sorte Nächte. Liegenzubleiben würde ihn nur an den Rand des Wahnsinns treiben. An Schlaf war nicht zu denken.
Er legte sich den Morgenmantel um und schlurfte in die Küche. Er schenkte sich eine Tasse des Filterkaffees vom Vorabend ein und stellte sie in die Mikrowelle. Er horchte angestrengt in die Nacht.
Nichts.
Sein Geist fühlte sich an, wie von Nebel umgeben. Walter Benjamin war am Ende seiner Kräfte und am Ende seiner Weisheit angelangt. Er wusste nicht mehr weiter. Sein Hirn spielte ihm einen Streich nach dem anderen. Das kurze *Bling* der Mikrowelle holte ihn in die kalte Realität seines einsamen Lebens zurück. Mit der Tasse in der Hand marschierte er in das Kellergeschoss mit seinem Studierzimmer und setzte sich hinter seinen Aktenberg. Er ging die Unmengen von Notizen und Aktenseiten zum Fall Heaven’s Gate zum unzähligsten Mal durch. Es half alles nichts.
Er griff mit der linken Hand nach der Kaffeetasse und ging hinüber zu den Klebezetteln an der Wand, wo über zweihundert Anmerkungen hingen. Drei der kleinen gelben Post-Its waren in der Nacht heruntergefallen. Benjamin hob sie auf und warf einen beiläufigen Blick darauf. Er erstarrte. Die Kaffeetasse glitt aus seiner Hand und zersprang mit einem lauten Klirren. Heißer Kaffee spritzte über den Fußboden und auf seine Zehen. Benjaming spürte davon nichts. Er glaubte seinen Augen kaum. Ich alter verdammter Idiot!
Er riss den Mund auf, reckte den Kopf hin und her, kreuz und quer von Zettel zu Zettel, welche wie ein gelbes Memory-Spiel an der Wand aufgereiht waren. Er rannte zu seinem riesigen Schreibtisch, fegte einen Stapel Papierhüllen und Prints zu Boden und kramte in den restlichen Notizen. Kein Blatt blieb auf dem anderen. Er zückte ein Schriftstück aus dem einen Stapel, ein weiteres aus einem anderen. Hunderte von Seiten flatterten durch die Luft.
Ich muss Havering und die anderen warnen. Meine Güte! Die Übergabe des Koffers ist in drei Tagen. Viel zu riskant! Ein Doppelanschlag. Das ist es. Das muss es sein. Die Juden. Die Synagogen. Falckenborgs Vergangenheit. Warum bin ich nicht früher drauf gekommen? Und sie werden’s wieder den Islamisten in die Schuhe schieben. Ein abgekartetes Spiel!
Er rannte zum Telefon, welches sich in der Nähe der Bar befand. Er hob den Hörer ab und wählte die Nummer der lokalen Polizei. Er hörte keinen Signalton. Das Telefon war tot.
Instinktiv griff er hinter die Theke und packte das Küchenmesser, welches an der Stelle im Messerblock steckte. In dem Moment, als er sich wieder umdrehte, bemerkte er den Bruchteil einer Sekunde einen Schatten durch den hohen Raum huschen. Der General war alt, aber nicht wehrlos. Er duckte sich hinter die Bar und presste seinen Rücken gegen die Kühlschubladen.
War ja klar. Die wollen mich kaltmachen. Ausgerechnet jetzt! Ich habe geahnt, dass das früher oder später passiert. Soll wohl wie ein Einbruch aussehen. Keine Schalldämpfer. Knüppel, Klinge oder billiger Revolver. Wahrscheinlich Letzteres.
Er ließ das Messer los und griff nach dem
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