SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
Wenn es ihn nach weiblicher Gesellschaft dürstete, gab es im Zirkel genügend Konkubinen, die neben ihrer Arbeit als Prostituierte auch zur Verfügung der obersten Yakuza zu stehen hatten. Bei der einen oder anderen Feierlichkeit hatte er sich zu einem kurzen Vergnügen mit einem der zierlichen Mädchen hinreißen lassen, welche oft auch am ganzen Körper tätowiert waren wie die Männer des Gonagawa-kai. Einmal hatte er sich ein wenig verliebt, Aimi war ihr Name gewesen. Um die 25 Jahre alt, erst eher kühl und abweisend, in der Folge herzlich und voller Sanftheit. Langes schwarzes zu einem Zopf geflochtenes Haar, ihre elfenbeinartige Haut verziert mit vielfarbigen Wesen aus Sagen und Legenden, wache Augen wie ein Reh, wunderschön.
Sie stand in Diensten des kai seit ihrem 18. Lebensjahr. Er hatte sie nie mehr wiedergesehen nach der gemeinsamen Nacht, wer weiß, ob sie noch am Leben war. Er hatte niemals nach ihr gefragt. Sein Meister hatte ihn in der Vergangenheit zahlreichen Frauen vorgestellt, ehrenwerten jungen Schönheiten, Töchtern von hohen Mitgliedern des Syndikates. «Für deinen Ruhestand», hatte Kimura jeweils augenzwinkernd gesagt und gelacht – wohlwissend, dass «Ruhestand» für einen Mann wie Takeda in etwa gleichbedeutend war mit «der Garten Eden» oder «eine kalte, verlassene Gruft».
Was will ein Krieger und Mörder wie ich mit einem solch reinen Wesen? Ich würde es wohl verderben, quer durch einen klebrigen Schlamm aus Wahnsinn und Gewalt ziehen. Ich werde alleine leben und alleine sterben. Vielleicht schon bald. Ich bin bereit.
Takashi Kimura hatte Takeda neben der vorzüglichen Bildung auch Unterricht in Englisch und sein wichtigstes Buch – Hagakure – zuteilwerden lassen. Kimura hatte streng nach den Maximen der Samurai gehandelt, dies auch Takeda nahegelegt und vorgelebt. Selbst der Name Takeda ging auf Kimuras Vorliebe für die Glanzzeit des feudalen Japan und dessen Volkshelden zurück.
Takeda Shingen ist einer der größten Kriegsherren und vorzüglichsten Samurais, die mein Land je hervorgebracht hat, und die Verleihung von dessen Namen an mich ist eine unermessliche Ehre , dachte Takeda, während seine Hand das einlaufende Badewasser mit dem Öl mischte. Meinen richtigen Namen habe ich vergessen, brauche ich nicht mehr. Es gibt ihn nicht mehr. Diesen Mann gibt es nicht mehr.
3
Takeda holte seine alte, abgegriffene Ausgabe von Hagakure aus dem Büchergestell im Wohnzimmer. Es war eine von mehreren Exemplaren, die er sein eigen nannte. Dies war die Erste, die er je besessen hatte, ein Geschenk seines Oyabun. Er ging zurück in das Badezimmer, welches mit dem Schlafzimmer einen einzigen offenen Raum bildete, zog den Kimono aus und faltete ihn sorgfältig zu einem Bündel neben der Wanne. Er legte das Buch auf den Boden und betrachtete sich im Spiegel.
Takeda war für japanische Verhältnisse überdurchschnittliche 184 Zentimeter groß und über 90 Kilogramm schwer. Sein Alter von 39 Jahren sah man ihm nicht an, er war durchtrainiert und muskulös. Er trug ein kurzgeschnittenes, spitz zulaufendes Kinnbärtchen; sein Haupthaar war ebenfalls nur wenige Millimeter lang. Brandschwarz. An den Seiten etwas kürzer als oben.
Die Züge seines Gesichtes hatten einen leicht westlichen Einschlag. Er hatte seine Eltern nie gekannt. Die Vermutung, dass er das Resultat einer Liebschaft einer Japanerin mit einem amerikanischen Soldaten oder sonst einem Westmann war, lag nicht allzu fern.
Ich will es nie erfahren.
Die Yakuza rekrutierten ihr Fußvolk zu grössteinteils aus eingewanderten Koreanern, Unterschichts-Bürgern und anderen Chancenlosen. Takedas mysteriöse Abstammung hatte für das Syndikat nie einen Hinderungsgrund dargestellt, ihn zu fördern. Kein Wunder! Er sah mehr nach einem Japaner aus als nach sonst etwas. Er war überaus talentiert im Umgang mit seinen Untergebenen, ein fantastischer Nahkämpfer, geschickt im Umgang mit allen möglichen Wurf- und Schusswaffen, stark wie ein Stier und gesund wie ein Reiskorn. Er war clean, hatte kaum Laster, außer einem gelegentlichen Drink brauchte er nicht viel zu seinem Glück. Dabei vertrug er den Alkohol wesentlich besser als seine Kumpanen, ein weiterer Hinweis auf seine nicht rein japanische Abstammung. Und ein weiterer Grund für den gehörigen Respekt, dem man ihm entgegenbrachte.
Takeda begutachtete seine Tätowierungen im Spiegel, die traditionellen Irezumi 10 mit den vielen Motiven. Die Ukiyo-e 11
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