SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
Seite seiner Brust lagen die Nachwirkungen des Stechens als gerötete Stellen auf der gespannten Oberfläche seines Oberkörpers. Wo vorher noch ein freier Platz unter den bestehenden acht Drachen geprangt hatte, war nun der schönste und mächtigste, der Neunte hinzugekommen. Gezeichnet aus flammenden roten geschwungenen Formen, schwarzen Schuppen und Klauen, gemischt mit grünen und dunkelblauen Wellen.
Die acht Drachen, die Takeda bereits vorher getragen hatte, zeichneten ihn als vorzüglichen Krieger des kai aus. Er hatte mehrmals ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben die Interessen des Syndikates durchgesetzt, wichtige Mitglieder beschützt und einigen bei der einen oder anderen Gelegenheit das Leben gerettet. Er hatte Männer angeführt und Auftragsmorde begangen. Er hatte über 25 Jahre ihrer Sache gedient und den Zirkel nie verraten. Er war schwer verwundet worden und wieder voll genesen.
Den neunten Drachen jedoch habe ich nicht erwartet. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass er mir zuteilwird.
Das frische pochende Kunstwerk auf seiner Brust hatte eine äußerst seltene und gleichzeitig auch traurige Bedeutung. Sie wurde nur dann verliehen, wenn das Oberhaupt des Gonagawa-kai einem Anschlag zum Opfer gefallen war, die Hintergründe im Dunkeln lagen und es deshalb einer Sondermission für die Suche nach dem Mörder und seinen Helfern bedurfte. Der neunte Drache war ein Zeichen des Todes.
Für solche Aufträge, die es bisher nur drei Mal gegeben hatte in der Geschichte des kai, wurde jeweils nur ein einzelner Mann des Syndikates auserwählt. Der stärkste Krieger mit dem tapfersten Geist. Die vereinten neun Drachen bedeuteten somit eine der höchsten Ehren, die der Zirkel zu verleihen hatte. Gleichzeitig auch Verlust eines geliebten Anführers, Tod und Verfolgung bis zur Selbstaufgabe. Takeda war bereit, die schwere Bürde auf sich zu nehmen.
Meine Fäuste glühen – hungrig nach Vergeltung und Tod.
7
Takeda saß mit entblößtem Oberkörper in der Runde des Rates am Tisch und trank den neunten Becher Sake leer. Ein opulentes Mahl war aufgetragen worden; die ehemals andächtige Stille hatte sich in ein reges Gelächter, Geplauder und Gepruste verwandelt. Die Ratsherren waren sichtlich erleichtert, dass Takeda seine Zeichnung gut überstanden und die ihm übertragene Aufgabe sowie sein Schicksal ohne Fragen und Proteste angenommen hatte.
Nach wie vor ungeöffnet lag das kleine Paket, welches sich bei Takedas Ankunft an seinem Platz befunden hatte, neben dem Katana an der Seite seines Sitzkissens am Boden. Er hatte schon sehr viel gegessen und war immer noch hungrig. Als er vor einigen Stunden den Versammlungsraum wieder betreten hatte – nach der langen Prozedur beim Sensei – hatte er ein dermaßen riesiges Loch im Bauch verspürt, dass er eine ganze Kuh hätte auffressen können. Inzwischen war es nur noch ein Kalb, aber das hatte noch Platz. Gerade erst waren alle möglichen Sorten von Sashimi auf einer mächtigen Platte hereingetragen worden, und dämpfende Dumplings mit unterschiedlichen Füllungen wurden direkt am Tisch serviert.
Die Gespräche am Tisch drehten sich vorwiegend um die laufenden Geschäfte und alte Räubergeschichten. Takeda sprach nicht viel, wie man es von ihm gewohnt war. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie ihn der Ratsvorsitzende Matsumoto ab und an heimlich musterte. Er erwiderte dessen Blick nicht, konzentrierte sich ganz auf das Lauschen der Geschichten und auf das Festmahl. Er empfand das ganze wie ein Bad in einer geballten Kraft, die er für eine lange Zeit zurücklassen musste. Er sog so viel davon auf, wie möglich. Die Heldengeschichten aus alter Zeit, die Trinksprüche, die lallenden und mampfenden Gesichter der Macht. Die Stunden vergingen wie im Flug.
Als er satt war und noch eine Weile das Geschehen am Tisch verfolgt hatte, wandte er sich an Matsumoto und gab ihm ein Zeichen, dass er sich langsam zurückziehen möchte.
Zwei Untergebene brachten seinen Anzug und einen Umhang aus roter Seide zum Tisch. Takeda bekleidete sich damit und verabschiedete sich mit einer Verbeugung an alle Tischgenossen. Schlagartig war es wieder ruhig.
Der Einzige, der sich erhob und seine Verbeugung erwiderte, war Matsumoto. «Macht und Stolz! Die neun Drachen werden über dich wachen», bemerkte dieser bestimmt und knapp. Er verbeugte sich ebenso zackig wie er sprach.
«Sehr wohl! Ich werde den Zirkel nicht enttäuschen», erwiderte Takeda. Er
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