SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
herziehend, die beiden Anzüge in Hüllen über die Schulter geschlagen, und blieb vor einer weiteren Doppeltür stehen. Bläulich hellgrau gestrichen, goldener Türknauf, ein Stockwerk weniger hoch als die 58. Und eine Klingel, wer sagts denn! Rechts vom Eingang im Erdgeschoss des Nachbargebäudes befand sich ein bordeaux-farben gestrichener Holzrahmen, welcher das Schaufenster eines unspektakulären Bodenfachgeschäfts umgab. Tony reckte den Kopf zum Glas hin. Drinnen war es dunkel, niemand zu sehen. Wohl noch beim Mittagessen. Tony schaute auf das Ziffernblatt seiner Air Command. 12.53 Uhr. Dann wollen wir mal!
Er wandte sich wieder der Klingel zu. Komisch, hier steht ja nur ein Name. Zuoberst war mal ein weiterer auf einem Etikette hingeklebt gewesen und inzwischen wieder entfernt worden. Zumindest kannte Tony den einzigen Namen, der auf der Klingel stand. Madame Sophie Lefebre.
Er war überzeugt davon, dass er in wenigen Minuten seinen Bruder begrüssen, ihn um Verzeihung zu bitten und bei einem Glas Wein über alte Zeiten plaudern würde. Er war nervös. Für den Fall, dass Carl gerade außer Haus weilte, ging Tony nochmals die wichtigsten Sätze im Kopf durch, die er sich in seinem etwas eingerosteten Französisch zurechtgelegt hatte. Er wollte nicht in Verlegenheit geraten, falls er sich mit Madame Lefebre unterhalten musste. Bei seinem Master-Abschluss hatte er fließend Spanisch und Französisch gesprochen, später aber nur noch selten angewendet. Spanisch noch eher als die Sprache der Gallier und Bretonen, welche man in New York seltener vernahm als Arabisch, Russisch oder Japanisch.
Wer spricht schon Französisch? Außer DuCrois.
Tony lächelte in sich hinein. Eigentlich mochte er den eleganten Klang der Sprache der Grande Nation , besonders wenn er sie aus weiblichen Mündern vernahm, aber es mangelte ihm an Auffrischung seiner Kenntnisse und vor allem an der Notwendigkeit für seine Geschäftstätigkeit.
Er atmete tief durch und drückte auf die Klingel. In diesem Moment flog die Tür auf; ein verdutzter Franzose um die sechzig mit Schnurrbart und blauer Arbeiterhose hätte ihn um ein Haar umgerannt. Er trug eine hellbraune Kartonkiste gefüllt mit Büchern vor sich her.
«Mais Monsieur, qu'est-ce que c'est là?!» Der Typ war scheinbar ähnlich erschrocken wie Tony, welcher ein etwas überlautes «Pardon, pardon! Excusez-moi!» von sich gab.
«Ah, eine Amerikaner?» Das Gesicht des Mannes hellte sich auf. Vielleicht hatte er Tony für einen arroganten Pariser Banker gehalten, der sich verlaufen hatte auf dem Weg in ein Bordell drüben am Place Pigalle.
«Sehr wohl.» Tony lächelte. Jetzt konnte er seinen Charme spielen lassen. «Sie sprechen Englisch?»
«Ein bisschen – un petit peu. Was genau süchen Sie, Monsieur?»
«Wir können uns auch auf Französisch unterhalten, wenn sie möchten. Einfach bitte langsam!» Tony lächelte erneut, es war eine aufrichtige Freundlichkeit.
«Gerne», erwiderte der Franzose. «Lassen Sie mich kurz diese Kiste zu den anderen stellen, dann komme ich gleich zu Ihnen.» Er gab sich Mühe, verständlich und in angemessenem Tempo zu sprechen.
«Danke, das ist sehr nett von Ihnen!»
Der Franzose ging einige Schritte die Straße hinunter und stellte die Kiste zu drei weiteren Exemplaren, die neben einem Abfallcontainer aufeinandergestapelt waren. Einige Augenblicke später stand er wieder vor Tony. «Gestatten, Gerard Monfils. Wie kann ich Ihnen helfen?»
«Anthony Levine, sehr erfreut. Ich suche meinen Bruder.»
«Ahh! Sie sind der Bruder von Monsieur Levine?!» Der Franzose riss die Augen auf. «Dann kommen Sie genau richtig. Ich bin gerade dabei, seine Wohnung zu räumen.»
«Seine Wohnung zu r…, was? Aber wieso denn?!» Tony glotzte jetzt so überrascht, wie zuvor Monfils.
«Nun ja, er ist seit neun Monaten verschwunden, und die Abmachung war, dass wir nach Ablauf dieser Frist die Wohnung räumen.»
«Oh nein! Bitte nicht! Kann ich den Vertrag nicht verlängern? Ich habe Geld, sehen Sie!» Tony zückte seine Brieftasche aus schwarzem Wildleder, die vollgepackt war mit einem Dutzend Kreditkarten, Euro-Scheinen, Dollars und einem Scheckbuch.
Monfils schaute darauf hinunter und verzog den Mund. «Das müssen Sie schon mit Madame Lefebre ausmachen, ich werde sie holen. Ich bin nur der Hausmeister. Aber kommen Sie doch erstmal rein. Wir haben gedacht wir hören nie mehr etwas von Carl oder seiner entourage .»
Monfils geleitete
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