Summer Sisters
York. Polly war ihr erst zweimal begegnet und so beeindruckt von ihr und ihrem Ruf gewesen, dass sie in ihrer Gegenwart kein Wort herausgebracht hatte.
Brian war Tibbys Freund, obwohl die Beziehung ziemlich kompliziert war, weil Tibby so weit weg wohnte.
Für Polly war Brian der absolut ideale Freund. Wenn sie in irgendeinem Buch oder Artikel von Mädchen und ihren Freunden las, dann stellte sie sich immer Brian vor.
Nicky und Katherine beteten Brian an, während sie über Tibby manchmal meckerten. Aber das änderte nichts an Pollys Bewunderung für Tibby. Sie wusste, dass kleine Kinder nicht immer ganz so lieb und süß waren, wenn man mit ihnen verwandt war und mit ihnen zusammenwohnte und man nicht einfach weggehen konnte, wenn sie einem zu viel wurden.
Als Brian nach oben ging, liefen Nicky und Katherine hinterher. Polly kam mit, nahm aber beide an die Hand und hielt sie fest. Brian wollte sicher nicht, dass sie ihm in Tibbys Zimmer folgten.
Als er die Tür öffnete, sah Polly in das Zimmer mit den zugezogenen Gardinen, einem Computer und unzähligen DVD-Stapeln auf dem Tisch.
Polly war von dem Zimmer schon immer fasziniert gewesen. Die Tür war meistens geschlossen, und obwohl sie ein paarmal einen Blick hatte hineinwerfen können, hatte sie es noch nie betreten. Er war wie eine Kultstätte für ein fantastisches anderes Leben, mythisch und rätselhaft. Ein Symbol für das Erwachsenwerden und das Weggehen von zu Hause - dafür, dass man alles, was zu diesem Zuhause gehörte, zurückließ.
An der Innenseite der Tür hing ein großes Foto von einem blassen, blonden Mädchen, das Polly auch vorher schon einmal gesehen hatte. Es war eine Nahaufnahme des Gesichts.
Das Mädchen lachte, doch es war etwas an ihr, das Polly ängstigte.
Polly wusste, dass Brian allein sein wollte.
»Hey, ihr zwei«, sagte sie zu den beiden Kleinen. »Jetzt wird’s aber langsam mal Zeit für die Krokodilfütterung. Los, kommt mit!«
Nicky und Katherine bissen sofort an und stapften hinter ihr die Treppe runter.
Kurze Zeit später musste Polly wieder nach oben, um eine Rolle Toilettenpapier aus dem Flurschrank zu holen, und ging leise an Tibbys Zimmer vorbei.
Durch die halb offen stehende Tür sah sie Brian im Dämmerlicht auf der Bettkante sitzen. Er hatte den Kopf gesenkt und die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt; in der einen Hand hielt er ein paar DVDs. Er bemerkte Polly nicht. Sie spürte, dass er auf Tibbys Bett saß, weil Tibby ihm fehlte.
Nachdem Brian gegangen war, verbrachte Polly den Rest des Nachmittags wie in Trance. Ihr Geist saß auf dem Trapez unter der Zimmerdecke und sah zu, wie ihr Körper mit den Kindern Quartett spielte.
Aus irgendeinem Grund musste sie ständig an ihre neu entdeckte Großmutter denken, die ein Model gewesen war und wie Sophia Loren ausgesehen hatte. Sie hätte gern gewusst, ob ihre Großmutter jemals so geliebt worden war, wie Tibby in ihrer Vorstellung von Brian geliebt wurde.
»Ich will nicht fahren, aber ich muss«, sagte Jo zu Bryn, als sie während der Busfahrt nach Bethesda mit ihr telefonierte.
»Deshalb hab ich meine Schicht mit Brownie getauscht.«
»Brownie ist so eine Niete«, schnaubte Bryn.
Für sie spielte es immer eine große Rolle, wer bei den anderen
als cool galt und wer nicht, und wer es nicht tat, war bei ihr unten durch .
»Kann schon sein, aber immerhin hat er mit mir getauscht.« Jos Ohr wurde schon ganz heiß, deshalb nahm sie das Handy in die andere Hand. »Dafür arbeite ich morgen Mittag.«
»Er hat sich bestimmt gefreut, dass du überhaupt mit ihm geredet hast«, sagte Bryn überzeugt und hielt das Handy kurz vom Mund weg, um ihren Bruder anzubrüllen. »Und warum musst du nach Bethesda?«, fragte sie dann.
»Ich... ich geh mit meinem Vater essen.«
»Wirklich? Warum das denn?«
»Er... er kann nicht rauskommen, weil er... Du weißt schon, er hat Bereitschaftsdienst im Krankenhaus. Und er … na ja, er wollte mich wohl mal sehen.«
Jo stotterte so herum, weil sie selbst nicht genau wusste, warum ihr Vater unbedingt mit ihr allein in Bethesda essen wollte - warum er fast darauf bestanden hatte. Sie wollte nicht, dass Bryn sie deswegen ausfragte. Aber zum Glück hatte Bryn ihr anscheinend sowieso nicht richtig zugehört, sondern kaute auf irgendetwas herum und tippte gleichzeitig in ihre Computertastatur.
»Hat er dein Zeugnis gesehen?«, fragte sie zerstreut.
Jo lachte. »Ja. Vielleicht ist das der Grund.« Sie blickte durch das
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