Summer Westin: Todesruf (German Edition)
angeblich ein Notfall, was, wie sich herausstellte, völliger Schwachsinn war. Dann, im Mai, hatte er mit ihr Skiurlaub machen wollen, aber Summer hatte den Auftrag bekommen, über einen Ornithologenkongress in Oregon zu berichten, und ihn hatte man zu einem Antiterrortraining in Quantico verdonnert. Offenbar war es ihr Schicksal, umeinander zu kreisen wie zwei Monde auf unterschiedlichen Umlaufbahnen.
»Versuch es einfach weiter«, riet Nicole. »Und bis es so weit ist, schickst du ihr einfach ein tolles Geschenk, damit sie sieht, wie viel sie dir bedeutet.«
Leicht gesagt. Jemandem wie Nicole konnte man jederzeit mit Schmuck, Kleidung oder Kunstgegenständen eine Freude machen. Aber was hätte er für Summer Westin besorgen sollen, die mehr auf Sonnenuntergänge und Bären stand als auf Gold und Seide?
Auch wenn Summer lange nicht so abgebrüht war, wie sie gern glauben machen wollte, war sie eine starke Frau. Er machte sich Sorgen, weil sie immer wieder in gefährliche Situationen geriet, aber er wusste, dass sie sich in der Regel sehr gut selbst zu helfen wusste. Genau genommen brauchte sie ihn nicht. Was er gut verstand: Er brauchte sie eigentlich auch nicht. Aber manchmal war seine Sehnsucht nach ihr so groß, dass sie schon schmerzte.
Nicoles Handy klingelte. Sie zog es aus der Handtasche, warf kurz einen Blick auf das Display und flüsterte rasch »der Boss«, bevor sie den Anruf annahm. »Boudreaux«, sagte sie leise.
Schweigend lauschte sie, dann sah sie auf ihre Uhr und sagte: »Bis Mitternacht sind wir da.« Noch während sie mit der einen Hand das Handy in die Handtasche zurücksteckte, winkte sie mit der anderen der Kellnerin, deutete erst auf sich, dann auf Chase und formte mit den Lippen das Wort »Kaffee«.
Die Kellnerin nickte und ging zum Tresen. Chase schob sich schnell eine weitere Gabel Nudeln in den Mund und kaute.
»Frisch aus dem Ticker«, sagte Nicole. »Bankraub in Rock Springs, Wyoming, wenige Minuten nachdem der Zug mitten in der Stadt entgleist ist.«
»Klingt nach unseren Tätern«, erwiderte Chase. »Ich nehme an, sie konnten fliehen?«
»Du nimmst richtig an.«
»Dann fahren wir also nach Wyoming?«
Sie schüttelte den Kopf. »Uns haben sie einen versuchten Überfall auf einen Panzerwagen in der Nähe von Blaine zugeteilt, oben an der kanadischen Grenze. 15 Minuten vorher war im örtlichen Krankenhaus Feuer ausgebrochen. Brandstiftung.«
Entweder breitete sich diese Art zufälliger Zusammentreffen wie eine Seuche aus, oder sie waren einer größeren Tätergruppe auf der Spur. Chase goss den restlichen Grauburgunder in sein Glas.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Hast du nicht gehört? Wir müssen nach Blaine.«
»Doch. Aber du bist dran mit Fahren.«
Als sie ihn anklagend anstarrte, kippte er den Wein hinunter und aß weiter. »Versuchter Raubüberfall, sagtest du. Haben die Bullen in Blaine die Täter erwischt?«
Wieder schüttelte Nicole den Kopf. Die Kellnerin kam mit dem Kaffee. Während sie ihnen einschenkte, bat Chase um die Rechnung. Nicole wartete, bis die Kellnerin gegangen war. »Die Diebe haben sich in die Büsche geschlagen; die Bullen sind immer noch auf der Suche. Immerhin haben sie ihr Fahrzeug gefunden.«
»Der Schlüssel«, murmelte Chase hoffnungsvoll und schluckte die letzten Nudeln herunter.
»Hoffen wir das Beste. Allmählich kommen wir ihnen näher.« Sie sah auf ihre Uhr. »Die nächste Fähre geht in 20 Minuten.«
Beide griffen gleichzeitig nach ihrer Kaffeetasse.
Sam schüttelte den Kopf über die Vorstellungen, die ihr zu Chase durch den Kopf gingen. Sie lebten Hunderte von Meilen voneinander entfernt und hatten sich nichts versprochen. Der Mann konnte ausgehen, wann immer und mit wem immer er wollte.
Genau wie sie. Unglücklicherweise war ihr in letzter Zeit kein Mann über den Weg gelaufen, der ihr gefallen hatte. Immer, wenn sie an Männer dachte, kam ihr nur Chase in den Sinn. Und der war nicht da.
Sie hatte keineswegs in völliger Weltabgeschiedenheit gelebt und kannte viele Männer, allerdings waren die meisten einfach nur Freunde. Kent und Rafael in Utah, und hier Joe Choi. Gerade jetzt befand sie sich in der Wohnung eines Mannes, auch wenn dieser nicht da war. Mack saß noch bis 21 Uhr bei Lisa.
An Macks Anrufbeantworter blinkte das Lämpchen. Sie drückte auf die Abspieltaste, und Peter Hoyles Stimme ertönte. »Lindstrom, das hier ist eine Nachricht für Westin. Ich nehme an, sie wohnt bei Ihnen.« Die Pause, die folgte, war
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