Summertime (Beachrats: Teil 4)
niemand wusste, wo ich war. Das bedeutete natürlich nicht, dass es irgendjemanden interessiert hätte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob überhaupt schon jemand bemerkt hatte, dass ich nicht mehr da war. Es fühlte sich aber trotzdem komisch an, ganz alleine an einem völlig anderen Ort zu sein. Ich war in Newport Beach, Florida und es war 17 Uhr am Sonntag Abend. Ich bin von New York per Anhalter gefahren und zwei Stunden zuvor angekommen. Die Reise hier her war interessant, um es vorsichtig auszudrücken.
Meine erste Mitfahrgelegenheit bekam ich auf Long Island, wo ich auch aufgewachsen war. Es war ein Geländewagen, der von zwei Männern gefahren wurde, die ungefähr vierzig Jahre alt waren.
»Wo willst du hin?«, fragte mich der Mann auf dem Beifahrersitz, nachdem sie angehalten hatten.
»Florida«, sagte ich.
»Meine Güte! Wir können dich in die Stadt mitnehmen, aber dann bist du auf dich alleine gestellt.«
Seine Stimme machte auf mich den Eindruck, dass er schwul war, aber das kümmerte mich nicht. Ich warf meine Reisetasche auf den Rücksitz und stieg ein. Mein Rücken schmerzte wie verrückt, aber als ich erst einmal saß, wurde es langsam besser.
»Ich bin Victor, das ist Warren«, stellte der Beifahrer sich und seinen Freund vor.
»Hi, ich bin Luke«, antwortete ich.
»Was willst du zu dieser Jahreszeit in Florida?«
»Ich treffe mich dort mit ein paar Freunden«, log ich.
»Warren und ich haben eine Menge Freunde in Florida. In Cocoa Beach haben wir sogar eine kleine Wohnung. Die vermieten wir zwar meistens, aber wir verbringen jedes Jahr den Februar dort. Wohin genau willst du in Florida?«
Scheiße , dachte ich. Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich hatte meine Flucht nicht wirklich gut geplant.
»Newport Beach«, sagte ich schließlich.
Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo genau das war, aber ich hatte auf MTV davon gehört, als sie an Spring Break von dort berichtet hatten.
»Das ist ein wundervoller Ort«, sagte Victor. »Der Sand ist dort weiß wie Schnee.«
»Cool«, sagte ich.
Ich hasste diesen Ausdruck, weil er einfach nur dumm klang. Aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.
Warren schwieg die ganze Fahrt über, aber Victor plauderte, als wären wir alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten. Er drehte sich sogar in seinem Sitz um, damit er besser mit mir reden konnte. Einmal legte er mir seine Hand auf den Oberschenkel und ich zuckte zusammen. Die ruckartige Bewegung gefiel meinem Rücken überhaupt nicht. Verdammte Scheiße , dachte ich nur.
»Warum bist du so zusammen gezuckt?«, wollte er wissen. »Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich schätze, es war so ein Reflex. Tut mir leid.«
»Du magst Schwuchteln nicht, oder?«
»Nein, ich habe kein Problem mit Schwuch ... äh, schwulen Kerlen.«
»Sind diese Flecken an deinen Beinen blaue Flecke?«
Er war wirklich nett und es war offensichtlich, dass er nicht an Sex mit mir interessiert war.
»Nun ja, ich hatte vor ein paar Tagen einen kleinen Unfall«, sagte ich.
Ja, klar! Und was für ein Unfall. Ich war aus Versehen den Schuhen meines Stiefvaters in die Quere gekommen, als er versuchte, mich zu Tode zu trampeln. Ich war normalerweise besser darin, seinen Schlägen und Tritten auszuweichen. Das hatte ich im Laufe der Jahre gelernt. Aber das konnte leider nicht immer funktionieren. Ich habe nie erfahren, warum dieser Mann mich hasste, aber er tat es.
Es begann, als ich elf Jahre alt war - noch bevor er meine Mutter heiratete. Ich war in der Nachbarschaft als das vom Pech verfolgte Kind bekannt, weil ich ständig überall Prellungen und Schnitte hatte. Mit der Zeit wurde ich sogar richtig kreativ, wenn es darum ging, mir Geschichten darüber auszudenken, wie es zu geprellten Rippen, einem gebrochenen Schlüsselbein, gebrochenen Armen oder auch zu einem verletzten Hoden gekommen war, der fast entfernt werden musste. Die letzte Verletzung tat am meisten weh. Und als wenn das noch nicht genug wäre, kam auch noch die Scham dazu. Ich meine, ich war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal vierzehn Jahre alt und saß in dieser Notaufnahme mit einem Ei, das zur Größe einer kleinen Orange angeschwollen war. Alle taten so, als wäre es ein Phänomen oder so etwas, denn jede Schwester, jeder Pfleger und jeder verdammte Arzt musste es sich unbedingt ansehen. Viele von ihnen wollten es auch noch anfassen und ich schrie jedes Mal, weil es so unglaublich weh tat. Am Ende betäubten sie mich
Weitere Kostenlose Bücher