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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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nach unten zu schauen, bis er besser darauf vorbereitet war. Den Blick auf die sonnenüberhauchten Baumwipfel zu heften erwies sich als beruhigend, und allmählich begann er, seinen Hintern auf dem Ast rückwärtszuschieben. Irgendwann würde er sich hinstellen und von Ast zu Ast klimmen müssen, aber wozu die Eile? Je langsamer er sich bewegte, desto weniger Lärm machte er – und bis der nächste Hubschrauber erschien, hatte er vor, still und unbemerkt zu bleiben.
    Der Gedanke, dass niemand nach ihm suchen würde, war Boyd nicht gekommen. Er wäre wie vor den Kopf geschlagen gewesen, hätte er gewusst, dass der Helikopter der Küstenwache, dem er so vergeblich zugewinkt hatte, von seiner eigenen Frau geschickt worden war, um den Privatdetektiv zu retten, der Munition für ihre Scheidung lieferte.
    Nach knapp 15 Minuten wurmartiger Bemühungen brauchte Shreave eine Pause. Während er mit einer Hand einen kräftigen Zweig umklammerte, fischte er einen Müsliriegel aus der Tasche seiner Shorts und riss die Verpackung mit den Zähnen auf. Dann stopfte er sich den trockenen Brocken in den Mund und begann so geräuschvoll zu kauen, dass er die zwei Männer nicht hörte, die unter ihm den Lagerplatz betraten.
    »Yo!«, schrie einer der beiden.
    Shreave fuhr zusammen und keuchte, Krümel um sich sprühend, entsetzt auf. Ängstlich blickte er nach unten und beäugte die Fremden. Einer trug eine Waffe, die flacher und schlanker war als Honeys Taser. Shreave vermutete, dass es sich um eine echte Pistole handelte, und fühlte sich genötigt, seine Harmlosigkeit zu beteuern, doch er war unfähig zu sprechen. Den Schlund vollgestopft mit feuchten Haferflocken und zermatschten Erdnüssen, konnte er nur hecheln wie ein lungenkranker Brüllaffe.
    »Schaffen Sie Ihren Arsch hier runter«, sagte der Mann mit der Pistole. Er war in mittleren Jahren, mit breiten Schultern und tief gebräunter Haut.
    Sein Begleiter war größer, braunhäutig und viel jünger, mit hohen Wangenknochen und hellen Augen. Shreave argwöhnte, dass es sich um Eugenies Indianer handeln könne. Der Mann hielt das Alupapier des Müsliriegels hoch und fragte: »Haben Sie das hier fallen lassen?«
    Shreave war so ausgetrocknet, dass er sich nicht zum Schlucken zwingen konnte. Theatralisch zeigte er auf seine geblähten Wangen und begann zu japsen, um zu zeigen, dass sein Sprechvermögen vorübergehend eingeschränkt war.
    »Sind Sie einer von den Paddlern?«, fragte der Mann mit der Waffe. »Haben Sie die Tour mit Honey Santana gemacht?«
    Shreave sah ausschließlich Risiken darin, diese Verbindung zuzugeben, also schüttelte er den Kopf und zuckte in gespielter Verwirrung die Achseln. Er vertraute darauf, dass er eine Lüge mimisch genauso gut zum Ausdruck bringen konnte wie verbal, und wie üblich irrte er sich.
    »Der Typ verarscht uns, Mr. Skinner«, sagte der Indianer.
    Der andere Mann nickte ungeduldig. »Ich hab keine Zeit für diese Flachpfeife.« Er richtete die Pistole auf einen imaginären Punkt in der Mitte von Shreaves glänzender Stirn. »Letzte Chance, Junior. Die Wahrheit wird deinen jämmerlichen Arsch befreien.«
    Shreaves Antwort war ein ungehobelter Mischmasch von Angstreflexen. Zuerst schiss er sich in die Hose und dann prustete er die Reste des Honig-Nuss-Müsliriegels heraus. Die Neuankömmlinge traten entsetzt von dem Flammenbaum zurück, um der Salve zu entgehen.
    »Igitt«, sagte der Indianer.
    Der Mann mit der Pistole zielte erneut. »Runter von dem Baum«, befahl er abermals.
    Shreave wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht ab. Es wurde Zeit für eine verzweifelte Änderung der Strategie: die Wahrheit.
    »Ein Mann hat sie mitgenommen!«, schrie er heiser nach unten. »Hat Honey mitgenommen.«
    »Wie hat er ausgesehen?«, wollte der Mann mit der Waffe wissen.
    »Krank«, erwiderte Shreave. »Völlig im Arsch – seine Hand, sein Gesicht …«
    »In welche Richtung sind sie gegangen?«, fragte der Indianer.
    Shreave deutete fieberhaft mit dem Finger. »Da lang! Er hatte sie an der Leine.«
    »An der Leine?« Langsam senkte der Ältere die Pistole.
    »Ja! Können Sie mir hier runterhelfen?«
    »Wozu?« Der Indianer knüllte das Müsliriegelpapier zusammen und steckte es in die Tasche. Er spuckte in die Kakteen und sagte: »Verdammtes Dreckferkel. Ich hoffe, du verrottest da oben.«
    Dann folgte er dem Mann mit der Waffe aus dem Lager.
     
    Um sich abzulenken, verfasste Honey Santana im Geist einen weiteren Brief an die Zeitungen.

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