Sumpfblüten
das waren alles Beutetiere, und eines Tages würde Boyd Shreave seine Nische unter den Jägern finden. Dessen war er sich sicher.
»Ich hab nichts Besonderes geplant«, sagte er zu seiner Frau. »Bleib wohl einfach hier und schaue fern.«
»Wollen wir uns zum Mittagessen treffen?«
Das Angebot brachte Shreave ein wenig aus der Fassung.
»Äh, ich muss beim Auto das Öl wechseln lassen. Ist mir gerade wieder eingefallen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Genau um zwölf.«
Lily lächelte ein Lächeln, das Boyd Shreave seit langem nicht mehr gesehen hatte. »Wunderbar«, erwiderte sie. »Dann haben wir ja den ganzen Vormittag Zeit.«
»Wofür?«, krächzte Shreave.
»Rate mal.« Lily griff unter den Tisch und drückte zu. »Weißt du, wie lange es schon her ist?«
Shreave pflückte ihre Hand aus seinem Schritt und schob sich außer Reichweite.
Ernst verkündete seine Frau: »Hundertsechsundfünfzig Tage.«
»Wirklich?« Shreave war einigermaßen verdattert. Während der ganzen Zeit hatte Lily sich nicht ein einziges Mal über mangelnde Aufmerksamkeit seinerseits beschwert, also hatte er angenommen, das Desinteresse beruhe auf Gegenseitigkeit.
»Das sind über fünf Monate«, fügte sie hinzu.
»Wow«, sagte Shreave.
»Zu lange, Boyd. Viel zu lange.«
»Ja.« Sein Nacken war schon jetzt feucht und klebrig.
»Was ist los, Liebling?« Lily beugte sich vor und ließ ihren Morgenmantel aufklaffen. Shreave konnte nicht umhin festzustellen, dass ihre Brüste größer aussahen als die von Eugenie Fonda. Er fragte sich, ob er irgendwie vergessen hatte, wie sie aussahen, oder ob seine Frau heimlich bei einem plastischen Chirurgen gewesen war.
Sie berührte sanft seinen Arm, dann schmiss sie ihm eine Frage hin, die wie eine tickende Granate liegen blieb. »Boyd, gibt es irgendetwas, worüber du mit mir reden möchtest?«
Oh Gott, weiß sie es etwa?, überlegte er angstvoll. Oder fischt sie nur im Trüben?
Nach geschickt formulierten Skripten zu arbeiten, hatte Boyds Talent für improvisiertes Lügen abgestumpft. Er wusste, dass er mit etwas Besserem aufwarten musste als mit einem Ölwechsel, um Lilys gegenwärtige Verhörtechnik abzuwettern.
»Es liegt nicht an dir, es liegt an mir«, sagte er.
Langsam schloss sie ihren Morgenmantel und verschränkte die Arme.
»Es sind Auswirkungen von dem Unfall damals in Arlington«, erklärte er, wobei ihm klar war, dass er ein riskantes Thema anschnitt.
»Vor drei Jahren?« Lily zog die Brauen hoch, doch Boyd ließ sich nicht beirren.
»Ich bin ›klinisch depressiv‹, so nennt man das. Der Arzt sagt, das wirkt sich auf meine … du weißt schon …«
»Libido.«
»Ja, genau«, meinte er. »Jedenfalls, ich hab so Tabletten, aber die helfen überhaupt nicht.«
»Was denn für welche? Dieselben, die Bob Dole nimmt?« Lily engagierte sich sehr aktiv im Komitee der Republikaner von Fort Worth und bewunderte den früheren Senator von Kansas schon lange.
»Genau dasselbe Zeug«, bestätigte Shreave, »aber bei mir wirkt es nicht. Ich habe noch immer nicht das kleinste bisschen Interesse am … du weißt schon …«
»Vögeln?«
»Richtig. Geht gar nicht.« Resigniert zuckte er die Achseln.
»Na, und weswegen bist du angeblich so deprimiert?«, wollte seine Frau wissen.
»Verdammt, keine Ahnung. Aber der Arzt sagt, das gibt’s ziemlich oft.«
Lily nickte mitfühlend. »Und wie heißt dein Arzt?«
»Kennedy«, befolgte Shreave Eugenies Präsidentenrat, was erfundene Namen betraf. »So ein Superpsychoklempner drüben in Irving. Keine Sorge, das zahlt die Betriebskrankenkasse.«
Lily stand auf, um seine Kaffeetasse nachzufüllen, was Shreave positiv interpretierte. »Stimmt irgendwas nicht bei der Arbeit?«, erkundigte sie sich.
»Soll das ein Witz sein? Die fahren total auf mich ab. Ich soll befördert werden.«
»Das sind ja tolle Neuigkeiten.« Lily biss sich auf die Lippe. »Das alles ist auch meine Schuld, Boyd. Ich hatte so viel mit den Restaurants zu tun, dass ich gar nicht gemerkt habe, was zwischen uns abläuft.«
Tatsächlich hatte sie sehr viel zu tun gehabt – hatte in aller Stille einen Deal abgeschlossen, ihre sechs Pizzarestaurants an die Papa John’s Corporation zu verkaufen, für eine aberwitzige Summe in Bargeld und Aktien. Nichts davon beabsichtigte sie bei der bevorstehenden Scheidung mit Boyd Shreave zu teilen. Lily war überzeugt, dass die Untreue ihres Ehemannes ihn in den Augen der meisten Richter zu einem unwahrscheinlichen Kandidaten für
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