Sumpfblüten
Bleichgesicht-Gene verflucht. Das war ein Gedanke, der auch Sammy Tigertail schon gekommen war und der jetzt seinen Schatten über ihn warf wie ein Bussard, als er allein über die Chokoloskee Bay paddelte.
Er dachte über den Mann namens Wilson nach, der von Reusenleinen und Ankern am Grunde des Lostmans River festgehalten wurde. Die Sonne stand hoch, und das Wasser wurde wärmer, daher war es möglich, dass Bullenhaie vom Golf hereinschwammen. Wilson würde nichts spüren.
Ein halbes Dutzend Fischerboote schossen an dem jungen Seminolen vorbei, als er durch den Rabbit Key Pass fuhr. Ein paar der Angler winkten, doch Sammy Tigertail schaute weg. Es war fast zwei Tage her, dass er zum letzten Mal geschlafen hatte, und seine Sinne waren abgestumpft. Bald nach Mittag zog er sein Kanu auf einer kleinen, wie ein Stiefel geformten Insel auf den Strand. Er lud seine Ausrüstung aus, wobei er besonders behutsam mit der Gitarre und dem Gewehr umging, das in ein trockenes Handtuch gewickelt war. Dann fand er eine trockene Kuppe und schlug ein Lager auf. Ihm ging auf, dass er nicht viel Proviant mitgebracht hatte, doch er machte sich keine Sorgen – sein Bruder hatte ihm zwei Spinnruten und ein nützliches Haken- und Ködersortiment mitgegeben. Sammy Tigertail kam in der Wildnis nicht so gut zurecht wie manche seiner reinblütigen Verwandten, aber wie man Fische fängt, wusste er.
Während kreischende Seevögel über ihm kreisten, streckte er sich unter einem Baum aus und fiel in tiefen Schlaf. Wilsons Geist erschien ihm, umschlungen von schleimigen Stricken; er schleifte alle vier Anker hinter sich her. Die Haie hatten ihn noch nicht entdeckt, allerdings hatten die Blaukrabben und die Barsche seine Augenhöhlen leer gefressen. Er war noch immer halb betrunken.
»Ich habe früher mit dir gerechnet«, sagte der Indianer.
»Wieso hast du dir nicht mein Geld genommen, bevor du mich in den Fluss geschmissen hast?«
»Weil ich kein Dieb bin.«
»Oder wenigstens die Joints. Das war Verschwendung, mein Freund« ,sagte Wilson.
Sammy Tigertail sagte, es täte ihm leid, dass Wilson auf dem Propellerbootausflug gestorben war.
»Das war diese Scheißschlange, nicht wahr?« ,meinte Wilson.
»Nein, es war dein Herz.«
»Also, da bin ich aber platt. «
»Was willst du von mir?«
Der tote Tourist hielt die ruinierte Kamera hoch. Die Pappe war durchweicht und löste sich ab.
»Wie wär’s mit noch ’nera Foto?« ,erkundigte sich Wilson. »Für die Jungs zu Hause in Winnetka – etwas , das sie sich einrahmen und ihm Billardzimmer über die Bar hängen können?«
Winnetka klang wie ein indianischer Name, obwohl Sammy Tigertail den Stamm nicht kannte.
»Komm schon« ,quengelte Wilson. »Die haben ein signiertes Foto von Vince Lombardi und ein Trikot mit einem Autogramm von Brett Favre drauf. Aber ein Bild von mir, tot und mit rausgeknabberten Augäpfeln – das wäre der Hammer! «
»Tut mir leid«, erwiderte Sammy Tigertail. »Keine Fotos mehr.« Er war ungeheuer müde und wollte, dass der Traum ein Ende nahm. Hoffentlich würde ein Hai die Wegwerfkamera verschlucken, während er sich an Wilson gütlich tat. Sammy Tigertail wollte nicht, dass jemand das entwürdigende, wenn auch unentwickelte Bild von ihm sah, wie er mit dem weißen Touristen posierte.
»Es ist arschkalt in diesem Scheißfluss« ,beklagte sich Wilson.
»Ich musste deine Leiche aus dem Reservat schaffen. Da gab’s nicht viele Möglichkeiten.«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass das Wasser in Florida so kalt wird. «
»Warte einfach bis zum Sommer. Dann ist es wie Suppe«, sagte Sammy Tigertail.
Wilson zog ein finsteres Gesicht und spuckte einen braunen Schlammklumpen aus. »Willst du damit sagen, das wär’s dann für mich? Ich muss den Rest der Ewigkeit in diesem gottverdammten Sumpf verbringen? Klatschnass sein und nach Fischkacke stinken? Gar nicht zu reden von diesen verschissenen Ankern.«
»Ich kann es dir nicht verdenken, dass du wütend bist«, meinte Sammy Tigertail.
»Ich hätte im Casino abkratzen sollen. Ich hätte meinen Herzinfarkt in der Bar kriegen sollen, als diese Nutte auf meinem Schoß rumgehopst ist. So sollte ich’s im jenseits haben« ,maulte Wilsons Geist, »nicht hier draußen ganz allein in der Mitte von Nirgendwo. «
»Finde dich damit ab«, entgegnete der Indianer.
»Du kannst mich mal. Das war der mieseste Urlaub, den ich je erlebt habe. «
Der tote Tourist zertrat die Kamera und schlurfte davon, wobei die Anker über
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