Sumpfblüten
Eugenies Wohnungsfenster aufgenommen hatte. Später hatte Lily beim Zuschauen kühl und neutral Boyds dürftige Leistung kommentiert.
Auf seinem eigenen Sofa erging es ihm nicht viel besser. Die unheimliche Mimikry seiner Ehefrau brachte ihn so durcheinander, dass er gar nichts fühlte.
»Lily, bitte lass das«, blökte er.
»Ach, lehn dich einfach zurück und genieß es.«
»Ich war heute bei einem anderen Arzt!«, brüllte Shreave fast. »Es sieht schlecht aus!«
Lily bremste ab. »Du warst bei einem anderen Psychiater? Warum denn?«
Shreave nickte feierlich. »Nach dem, was in dem Bagel-Laden passiert ist, war ich total verzweifelt. Er heißt Dr. Coolidge.«
»Ja?«
»Er sagt, es ist was viel Schlimmeres als Depressionen.«
»Weiter.« Lily schien es nicht eilig zu haben abzusteigen.
»Ich hab’s mir auf einen Zettel geschrieben. Er steckt in meiner Hosentasche«, sagte er.
»In der rechten oder in der linken?«
»In der rechten, glaube ich.«
Shreave wand sich unbehaglich, während seine Frau nach dem Zettel wühlte. Er stand der Hartnäckigkeit seiner Erektion mit gemischten Gefühlen gegenüber – so tröstlich das nach der demütigenden Episode mit Eugenie Fonda auch war, vermittelte es Lily doch definitiv die falsche Botschaft.
»Ist das überhaupt Englisch?« Mit gefurchter Stirn starrte sie auf den linierten Papierfetzen, den sie gefunden hatte.
»Das heißt ›Aphenphosmphobie‹«, sagte Shreave. Er hatte den ganzen Nachmittag geübt, das Wort auszusprechen – wirklich erstaunlich, was für abgefahrenes Zeug man im Internet finden konnte.
»Und was genau ist das?« Lily klang nicht annähernd so besorgt, wie ihr Mann gehofft hatte.
»Aphenphosmphobie ist die Angst davor, berührt zu werden«, erklärte er.
»Von deiner Frau?«
»Nein, Lily, von jedem.«
»Wo berührt zu werden?«, fragte sie. »Nur am Pimmel?«
»Überall« ,erwiderte Shreave ungeduldig. »Finger, Zehen, Lippen, Ohren – jeder Hautkontakt löst etwas aus, was man eine phobische Reaktion nennt. Das können Angstzustände sein, Schweißausbrüche, sogar Panikattacken. Dr. Coolidge sagt, es ist eine sehr seltene Krankheit.«
»Ja, ich wette, er hat nur eine Handvoll Fälle zu sehen gekriegt. Kapierst du? Eine Handvoll Fälle.«
»Wahnsinnig komisch.« Shreave war entsetzt über ihre Herzlosigkeit. Was, wenn er die Wahrheit gesagt hätte?
»Findest du das etwa witzig?«, fragte er.
»Was ich finde, Boyd, ist, dass er dir immer noch steht.« Langsam drückte sie sich auf ihn herab. »Das bedeutet eine von zwei Möglichkeiten: Entweder bist du gerade auf wundersame Weise geheilt worden oder du redest totale Scheiße. Komm, wir ziehen mal deine Hose aus und versuchen’s mit einem kleinen Experiment.«
Shreave bäumte sich auf, riss sich los, rannte ins Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich ab. »Schlag’s doch nach!«, rief er. »A-p-h-e-n-p-h-o-s-m-p-h-o-b-i-e.«
Lily klopfte leise an. »Mach auf.«
»Erst wenn du dich entschuldigst.«
»Boyd, es tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung.« Lily lächelte auf der anderen Seite der Tür.
»Und könntest du dir bitte was anziehen?«, verlangte Shreave. »Das ist Folter.«
Darauf würde ich wetten, dachte seine Frau. »Entspann dich erst mal. Ich bin gleich wieder da.«
Allein im Arbeitszimmer, begann Shreave auf und ab zu tigern. Von Eugenie Fonda abgewiesen zu werden, hatte ihn mit etwas erfüllt, was große Ähnlichkeit mit Zielstrebigkeit hatte, eine Eigenschaft, die seiner schlaffen Persönlichkeit bisher abgegangen war. Eigentlich von Natur aus ein Drückeberger und Feigling, fühlte Shreave sich jetzt geradezu getrieben. Er war entschlossen, seine Freundin nicht einfach sausen und sich selbst nicht von der feuerroten Unterwäsche seiner Frau ablenken zu lassen.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Shreave hatte eigentlich keine Lust hinzugehen, doch er hatte die aberwitzige Phantasievorstellung gehegt, dass sein Boss bei Relentless anrufen und ihm eine zweite Chance bieten würde. Natürlich würde er sein altes Abteil neben Eugenie zurückverlangen.
Er nahm den Hörer ab. »Ja?«
»Hallo, ist dort Shreave?«
Es war eine Frau. Sie klang vage vertraut, doch das ging ihm in letzter Zeit bei jedem so. Shreave schätzte, dass er während seiner Callcenter-Schichten bei Relentless mit mindestens 7000 Fremden gesprochen haben musste und dass er so ziemlich jede Art von Akzent, Dialekt, Tonlage, Timbre, Nuscheln, Näseln und Sprachstörung
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