Sumpfblüten
so viel du willst.«
Lilys Stirn furchte sich auf wenig verheißungsvolle Weise. »So läuft diese Therapie nicht. Die erste Stufe ist ›Ansehen, aber nicht anfassen‹.«
»Bitte?«
»Wie du gesagt hast, Boyd, das ist eine sehr ernste Störung. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn du einen Herzinfarkt oder so was kriegen würdest, während ich dir einen blase.«
»Das Risiko gehe ich ein«, verkündete Shreave mit einem verzweifelten Stoizismus. »Ich fühle mich gut, Lily – ehrlich gesagt, ich fühle mich super. So was nennt man einen Durchbruch.«
»Nein, warten wir ab, was die Experten in der Garfield Klinik sagen. Wir sollten nichts allzu Verrücktes probieren, solange wir nicht genau wissen, dass es ungefährlich ist.«
»Aber mir geht’s gut«, quiekte er und sah betrübt zu, wie sich seine Frau wieder in ihre Kleider hineinwand.
»Wir haben heute Abend definitiv Fortschritte gemacht«, stellte sie fröhlich fest. »Ich kann’s kaum erwarten, dass du aus Florida zurückkommst – wir werden’s die ganze Nacht lang treiben, wenn der Psychiater grünes Licht gibt. Wir werden uns um den Verstand fummeln.«
»Ja. Die ganze Nacht lang«, sagte er.
Lily warf ihm eine Kusshand zu und verschwand den Flur hinunter.
Boyd Shreave zerrte seine Hose hoch, setzte sich und vertilgte den matschigen Rest seines Daiquiris, während sein Ständer dahinwelkte. Er war kein Mensch, der Ironie zu schätzen wusste, daher empfand er im Augenblick lediglich ein ungehobeltes Gefühl der Entbehrung.
Weil er nicht vorhatte, aus Florida zurückzukommen. Er würde seine Frau nie wieder nackt auf dem Teppich sehen.
Dismal Key ist eine krabbenförmige Insel auf der Golfseite der Santina Bay, zwischen Goodland und Everglades City. Im Lokalarchiv ist als erster Bewohner ein Barkeeper aus Key West namens Stillman aufgeführt, der auf Dismal Key Limonenhaine angepflanzt und die Früchte mit einem Schoner namens Oriental zum Markt geschippert hatte. Stillman war entweder 1882 oder 1883 gestorben, und danach war die Mangroveninsel von einem wetterfesten Einwohner South Carolinas mit dem Namen Newell gekauft worden, der sich dort mit seiner Frau und seinen vier Kindern niederließ. Sie blieben bis 1885, keine schlechte Ausdauerleistung.
Nach der Jahrhundertwende wurde Dismal Key zur Anlegestelle für herumziehende Fischer und zu einem Zuhause für eine Reihe selbsternannter Einzelgänger; der letzte war eine launische Seele namens Al Seely gewesen. Bei Seely, einem Landvermesser und Maschinisten, war 1969 eine tödliche Krankheit diagnostiziert worden, und man hatte ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass er innerhalb von sechs Monaten tot sein würde. Mit einem Hund namens Digger setzte er in einem kleinen Boot nach Dismal Key über und besetzte ein verlassenes Haus mit zwei Räumen und eigener Zisterne. Dort begann er, eine Autobiographie zu schreiben, die am Ende 270 getippte Seiten füllen sollte, mit doppeltem Zeilenabstand. Für einen Einsiedler war Seely ungewöhnlich gesellig, er ließ Besucher in einem Gästebuch unterschreiben. 1980, noch immer ungemein lebendig, hieß er eine Schülergruppe der örtlichen Highschool willkommen, die an einem wissenschaftlichen Projekt arbeiteten. Ihnen gestand er, dass er mit der Vorstellung auf die Ten Thousand Islands gezogen war, wilde Tiere als Nahrung zu töten, jedoch festgestellt hatte, dass er nicht den Mumm dazu besaß. Er lebte von einer kleinen Veteranenpension und davon, dass er gelegentlich eins seiner Bilder verkaufte.
»Die Leute fragen oft, wie Dismal Key zu seinem schwermütigen Namen gekommen ist. Ich wollte, ich wüsste es«, schrieb er in sein Tagebuch, das Jahre, nachdem er die Insel verlassen hatte, entdeckt wurde. »Aber da ich bisher nicht einen einzigen Anhaltspunkt gefunden habe, schlage ich vor, dass sie mich im Juli oder im August besuchen, wenn die Hitze und die Moskitos und Sandfliegen in absoluter Hochform sind, dann finden sie zumindest heraus, warum die Insel nicht Paradise Key heißt.«
An dem Januarmorgen, als Sammy Tigertail sein gestohlenes Kanu auf Dismal Key den Strand hinaufschob, betrug die Temperatur 21 Grad, der Wind blies mit 13 Knoten aus Norden, und Insekten waren kein Thema. Gillian dagegen schon.
»Ich bin am Verhungern«, verkündete sie.
Sammy Tigertail warf ihr einen Müsliriegel zu und begann eilig mit dem Auspacken.
»Soll das hier das Frühstück sein?«, fragte sie.
»Und das Mittagessen«, antwortete er. »Zum Abendessen
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