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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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auch so geredet?«
    »Sie hieß Otter.«
    »Von mir aus«, knurrte Gillian.
    Der Indianer schloss die Augen und sehnte sich nach friedlichem Schlaf. Vor tausend Jahren hatten Calusakrieger unter demselben Winterhimmel geruht. Als er in der achten Klasse (und noch Chad McQueen) gewesen war, hatte Sammy einen Schulaufsatz über die Calusa geschrieben, die zwölf Jahrhunderte vor der Ankunft der von Feinden umgebenen Seminolen in Florida gelebt hatten. Im Mittelpunkt der sehr strukturierten Gesellschaft der Calusa hatte das Fischen gestanden, und sie waren sehr gut darin gewesen, Palmfasernetze, Speere und Haken herzustellen. Sie waren in Kanus aus ausgehöhlten Stämmen weit herumgezogen und hatten durch Handel und Waffengewalt über alle anderen Indianerstämme der Halbinsel geherrscht. Sammy Tigertail erinnerte sich, Fotos von kunstvollen Stammesmasken gesehen zu haben, von Schmuckstücken aus Muscheln und zierlichen Vogelschnitzereien aus Holz, die auf Marco Island ausgegraben worden waren. Die Körperbemalung der Calusakrieger war mit Haifischlebertran angerührt worden, um die Moskitos fernzuhalten. (Sammy Tigertail hatte seinen Onkel einmal gefragt, warum die Seminolen sich nicht derselben Formel bedienten, und sein Onkel hatte geantwortet, er würde lieber eine Mücke totschlagen als einen Hai.)
    Doch das Bemerkenswerteste, was Sammy Tigertail von seiner Hausaufgabe über die edlen Calusa in Erinnerung geblieben war, war, wie abrupt sie vernichtet worden waren – aus der Landschaft ausgelöscht, kaum 200 Jahre nach ihrem ersten, unheilvollen Kontakt mit spanischen Soldaten, welche Krankheiten mitbrachten, die tödlicher waren als ihre Musketen.
    Der Calusa, der Ponce de Leon den Pfeil verpasst hatte, hatte das ganz richtig gesehen, dachte Sammy Tigertail. Er hatte gewusst, dass diese weißen Arschlöcher nichts Gutes verhießen.
    Am Schluss waren zerlumpte Calusabanden von als Söldnern gedungenen Creek und anderen frisch bewaffneten Stämmen gejagt worden, die sie an Sklavenhändler verkauft hatten. Sammy Tigertail fiel wieder ein, dass man glaubte, ein paar Hundert Calusa seien Mitte des 17. Jahrhunderts mit ihrem cacique nach Havanna entkommen, und er fragte sich, was wohl aus ihnen geworden war. Er hatte es immer traurig gefunden, dass die Calusa aus Floridas südlichster Wildnis verschwunden waren, bevor die Seminolen – auf der Flucht vor einer weiteren raubgierigen Horde Weißer- sich dort niedergelassen hatten. Da sich die Wege der beiden Stämme niemals gekreuzt hatten, bestand keine Chance, dass auch nur ein Tropfen Calusablut in Sammy Tigertails Adern floss. In finsteren Momenten fürchtete er sogar, er könnte von einem der Creek-Sklavenjäger abstammen, die den Calusa nachgestellt hatten, denn ironischerweise waren es versprengte Creekstämme und andere cimmarones, die später zur Seminolennation wurden.
    Sammy Tigertail atmete ein paar Mal tief durch und drückte die Arme an den Köper. Er hoffte, die Macht und die Weisheit von hundert Calusakriegern durch die uralten Knochen und Muscheln unter sich emporsteigen zu fühlen …
    Doch als er die Augen aufschlug, fühlte er sich nicht anders als vorher – wie ein Mann, der in niemandes Welt hineinpasste, egal ob rot oder weiß.
    Leer blinzelte er zum milchigen Firmament hinauf. Die Sonne war aufgegangen, und der Morgendunst löste sich auf. Er lag mit nacktem Oberkörper auf seinem Schlafsack, die Gibson an die Brust gedrückt. Irgendwo unten am Ufer sagte Gillian: »Rechts, Boyd, rechts! Passen Sie auf die Äste da auf, Genie.«
    Was völlig unsinnig war, bis dem Indianer klar wurde, dass das gar nicht Gillians Stimme war, die er da vom Wasser her hörte. Gillian hockte oben im Flammenbaum und bedeutete ihm, dass er aufstehen solle.
    Sammy Tigertail sprang auf und wickelte das Gewehr aus. Gillian ließ sich leichtfüßig vom Baum fallen. Sie berührte seinen Arm. »Glaubst du, die haben Wasser, Thlocko?«
    »Benimm dich«, wies er sie an, »sonst lass ich dich hier draußen allein verrecken.«
    »Ich kann ganz still sein. Ich schwör’s.« Sie salutierte zackig und mimte eine Reißverschlussbewegung entlang ihrer Lippen.
    Eugenie Fonda erkannte Boyds Wandlung vom ambivalenten Langweiler zum herablassenden Arschloch als einen letzten Versuch zu punkten. Es war nicht das erste Mal, dass einer ihrer Liebhaber versucht hatte, sich neu zu erfinden, doch was schiere Verabscheuungswürdigkeit anging, hatte Boyd alle anderen in den Schatten gestellt.

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