Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
sie mit deiner Mutter an einem Tisch sitzt«, sagte er. »Deshalb will ich nicht, daß du über das sprichst, was du gerade gehört hast. Wenn doch, dann läßt du dich lieber nicht blicken, wenn ich zu euch komme.«
Drei Tage später standen meine Tante und ich auf dem Bahnsteig und sahen zu, wie meine Mutter und Hank den Sunset Limited bestiegen. Sie verschwanden im Waggon, dann kam sie zurück, um mich noch einmal zu umarmen.
»Davy, is ja nicht für lange. Dort droben haben sie den Ozean, Filmstars und massenweise Palmen. Wird dir gefallen, wirst sehen«, sagte sie. Dann zog Hank sie an der Hand weg, und die beiden gingen in den Aussichtswaggon, die Gesichter jetzt wie hinter einem Schleier, und sie wirkten wie Menschen, die ihrem eigentlichen Leben entrückt waren. Hinter dem Kopf meiner Mutter sah ich Wandmalereien von Tafelbergen und glühenden Sonnenuntergängen.
Doch sie ließ mich nicht nachkommen, und sie schrieb auch nicht oder telefonierte. Drei Monate später rief ein Priester per R-Gespräch aus Indio, Kalifornien, an und fragte meinen Vater, ob er telegraphisch Geld für die Busfahrkarte meiner Mutter zurück nach New Iberia anweisen könne.
Jahrelang träumte ich von Mondlandschaften und kahlen Bäumen entlang einer Bahnlinie, wo weiße Wölfe mit roten Mäulern in den Ästen hausten. Wenn der Sunset Limited pfeifend über die Gleise raste, liefen die Wölfe nicht davon. Sie fraßen ihre Jungen. Ich habe nie mit jemandem über diesen Traum gesprochen.
26
Ein Psychologe würde vermutlich zustimmen, daß übertriebene Schuldgefühle einen Menschen, es sei denn, er ist ein Soziopath, bis zu einem Grad mit neurotischen Ängsten erfüllen können, die in ihrer Brutalität mit dem Warten des zum Tode Verurteilten auf den Henker vergleichbar sind.
Ich wußte nicht, ob Alex Guidry ein Soziopath war, aber am Montag begannen Helen und ich ihm allmählich die Daumenschrauben anzuziehen.
Wir parkten den Streifenwagen vor der Abzweigung zu seinem Haus und beobachteten, wie er von seinem bunkerartigen Backsteinhaus zur Garage ging, die Garagentür öffnete und dabei automatisch in unsere Richtung sah. Er fuhr die lange Auffahrt hinunter zur Gemeindestraße, bremste bei der Einbiegung auf der Höhe des Streifenwagens und ließ sein Fenster herunter. Helen und ich unterhielten uns jedoch weiter, ohne ihn zu beachten. Dann wendeten wir und folgten ihm zu der Kreditgesellschaft, die die Familie seiner Frau in der Stadt unterhielt, und registrierten, daß er uns beständig im Rückspiegel beobachtete.
Es war Jahrzehnte her, daß sein Schwiegervater jeden Samstagmorgen seine Runde durch die Plantagen gemacht und die Raten auf die Versicherungspolicen kassiert hatte, die die Farbigen manchmal sogar in Naturalien oder durch Prostitution bezahlten, um die Versicherung nicht verfallen zu lassen. Die Särge, die sie sich damit für ihr Begräbnis sicherten, waren aus Sperrholz, Karton und Kreppapier, in gefärbte Gaze gewickelt und mit riesigen Satinschleifen geschmückt. Die Grabstätten befanden sich allesamt auf Schwarzenfriedhöfen, und die Grabbeschriftung hatte die Qualität von Glückwunschkarten. Und trotz aller grellen, billigen und trostlosen Buntheit markierten die ausgehobenen Gruben in der Erde, die Plastikblumen und die Satinbänder, die die Grabhügel zierten, nicht den Übergang in eine andere Welt, sondern repräsentierten nur das, was der Verstorbene im Diesseits erreicht hatte.
Die Sterbeversicherung für Schwarze war mittlerweile Geschichte, die Plantagenbaracken waren verlassen, aber dieselben Leute kamen jetzt mit schöner Regelmäßigkeit zu der Kreditgesellschaft der Familie und unterschrieben Dokumente, die sie nicht lesen konnten, und leisteten jahrelang sich ständig steigernde Zinszahlungen, ohne daß sich die Kreditsumme je verringert hätte. Im Nachbargebäude befand sich eine Pfandleihe, die ebenfalls derselben Familie gehörte. Anders als die meisten Geschäftsleute machten Guidry und seine angeheiratete Verwandtschaft während der Rezession glänzende Geschäfte.
Wir hielten hinter seinem Wagen an und beobachteten, wie er auf dem Bürgersteig stehenblieb, uns kurz anstarrte und dann hineinging.
Einen Moment später hielt ein brauner Honda mit einem großgewachsenen Mann im grauen Anzug am Steuer am Straßenrand an und parkte Stoßstange an Stoßstange vor Guidrys Auto. Der Fahrer, ein Agent von der Drogenfahndung namens Minos Dautrieve, stieg aus und gesellte sich vor der Glastür
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