Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Alkoholiker fand an jenem Abend in einem Raum im obersten Stockwerk einer alten Backsteinkirche an der West Main Street statt. Die Konföderierten hatten die Kirche als Krankenhaus benutzt, während sie versucht hatten, die Bundestruppen am Teche im Süden der Stadt aufzuhalten; dann, nachdem die Stadt eingenommen und geplündert und das Gerichtsgebäude in Brand gesteckt worden war, drehten die Bundestruppen die Hälfte der Kirchenbänke um und füllten sie mit Heu für ihre Pferde. Doch den meisten Leuten im oberen Stockwerk war die Geschichte des Gebäudes gleichgültig. Gegenstand des Treffens war die Fünfte Stufe in der Therapie der Anonymen Alkoholiker, in der man seine Vergangenheit offenlegte und versuchte sie zu verarbeiten.
Es gibt Augenblicke bei Treffen der Fünften Stufe, die die Zuhörer veranlassen, den Blick zu Boden zu senken, jeden Ausdruck aus ihren Mienen zu verbannen, die Hände im Schoß zu Fäusten zu ballen und innerlich aufzuschreien bei der Erkenntnis, daß die Bar, die man vor so langer Zeit betreten hatte, nur einen Ausgang hatte, und der führte in den moralischen Irrsinn.
Lila Terrebonne hörte normalerweise zu und redete nie selbst bei diesen Treffen. An diesem Abend war das anders. Sie saß steif auf einem Stuhl beim Fenster, der Baum in ihrem Rücken im Sonnenuntergang flammend ausgeleuchtet. Die Haut ihres Gesichts hatte die polierte, porzellanartige Struktur eines Menschen, der gerade einem Unwetter entflohen war. Ihre Hände waren in dramatischer Geste ineinander verkrampft.
»Ich glaube, ich habe mit meinem Therapeuten einen Durchbruch geschafft«, sagte sie. »Ich hatte immer diese komischen Gefühle, diese Schuldgefühle. Ich meine eine Fixiertheit auf Kreuze.« Sie lachte verächtlich, den Blick gesenkt, die Augenwimpern steif wie Draht. »Es hat mit einer Sache zu tun, die ich als Kind gesehen habe. Aber es hatte eigentlich nichts mit mir zu tun. Ich meine, ist nicht Teil des Programms, die Last anderer zu tragen. Ich muß mir nur Sorgen um das machen, was ich getan habe. Vor der eigenen Tür kehren, wie man so schön sagt. Wer bin ich schon, zu richten, besonders wenn ich den historischen Zusammenhang gar nicht begreife?«
Niemand hatte die geringste Ahnung, wovon sie redete. Sie erzählte weiter, spielte auf ihren Therapeuten an, benutzte Ausdrücke, die die meisten einfachen Leute im Raum nicht verstanden.
»Die Mediziner sagen psychoneurotische Angstzustände dazu. Ich bin deshalb zur Alkoholikerin geworden. Aber das Schlimmste habe ich jetzt wohl überstanden«, sagte sie. »Jedenfalls habe ich heute nirgendwo mein Höschen gelassen. Ist nämlich alles, was ich habe.«
Nach dem Treffen fing ich sie vor Cletes Wagen ab. Er stand unter einer Eiche, deren Blätterdach voller Glühwürmchen war. Es lastete ein feuchter Geruch in der Luft.
»Lila, ist das erste Mal, daß ich das zu einem anderen AA-Mitglied sage, aber was Sie da drinnen verzapft haben, war ausgemachter Blödsinn.«
Sie fixierte mich mit ihren seltsamen Augen, klimperte verschämt mit den Wimpern und schwieg.
»Davon abgesehen sind Sie völlig stoned«, sagte ich.
»Ich kriege das Zeug auf Rezept. Hat manchmal eine komische Wirkung. Und jetzt hören Sie auf, auf mir rumzuhacken«, sagte sie und richtete mit einer Hand meinen Hemdkragen.
»Sie wissen, wer Jack Flynn ermordet hat. Sie wissen, wer die beiden Brüder im Sumpf erledigt hat. Und Sie können uns diese Informationen nicht vorenthalten und unbehelligt weiterleben.«
»Heiraten Sie mich in unserem nächsten Leben«, sagte sie und zwickte mich in den Bauch. Dann gurrte sie sinnlich und sagte: »Hm, nicht schlecht für dein Alter, Großer.«
Damit glitt sie auf den Beifahrersitz, betrachtete sich im Spiegel an der Sonnenblende und wartete, daß sich Geraldine Holtzner hinters Steuer setzte. Dann fuhren die beiden eine geziegelte Nebenstraße entlang, lachten, während der Wind sich in ihrem Haar verfing, und gebärdeten sich wie zwei Teenager, die in eine unschuldige und unkomplizierte Welt entflohen.
Zwei Tage vergingen, dann erhielt ich wieder einen Anruf von Alex Guidry. Diesmal erreichte er mich im Köderladen. Seine Stimme klang rauh. Offenbar hielt er die Sprechmuschel dicht an den Mund.
»Was für einen Deal können Sie mir anbieten?« fragte er.
»Kommt darauf an, womit Sie rüberkommen.«
»Ich gehe nicht in den Knast.«
»Würd ich mich nicht drauf verlassen.«
»Ihnen gehtʼs doch gar nicht um eine schwarze Frau oder zwei
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