Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
ihr ins Freie. »Nein, hast du nicht«, widersprach ich.
»Wie bitte?«
»Schlimmer kann es nicht werden. Wenn man mal an der Schwelle gestanden hat, gehört man zu einer auserwählten Gemeinschaft. Ein Psychologe hat mir mal gesagt, daß sie nur ungefähr drei Prozent der Menschheit umfaßt.«
»Auf die Ehre kann ich verzichten.«
»Warum bist du zurückgekommen?«
»Mein Vater erscheint mir nachts im Traum.«
»Möchtest du die Waffe?«
»Ja.«
Ich nickte und wandte mich zum Gehen.
»Warte!« Sie zog ihr Brillenetui aus der Brusttasche ihrer Bluse und trat dicht vor mich hin. In einem Augenwinkel hatte sie eine dunkle Schramme, wie eingeriebene Schminke. »Bleib einfach stehen. Du mußt gar nichts tun«, sagte sie, legte ihre Arme um mich und ihren Kopf an meine Brust und preßte ihren Bauch flach an mich. Sie trug Rehledermokassins, und ich fühlte den Rist ihres Fußes an meinem Knöchel.
Ihr Kopf bewegte sich unter meinem Kinn an meiner Kehle, und die Feuchtigkeit in ihren Augen war wie ein nicht gegebener Kuß, der meine Haut streifte.
Rodney Loudermilk hatte mittlerweile zwei Wochen im achten Stock des alten Hotels gewohnt, das kaum zwei Blocks von der Alamo-Mission entfernt lag. Der Lift war langsam und vibrierte dumpf im Schacht, in den Korridoren stank es, von den Feuertreppen rieselte der Rost an den Backsteinwänden des Gebäudes herunter. Aber im Parterre gab es eine Bar und einen Grillroom, und die Aussicht aus seinem Fenster war atemberaubend. Am Abend verfärbte sich der Himmel blau und lachsrot, der San Antonio River glitzerte im Licht der Restaurants an der Uferstraße und der Gondeln, die unter den Brücken hindurchfuhren, und er konnte den rosagetönten Stein vor der alten Missionsstation erkennen, wo er sich selbst oft als Fremdenführer verdingte und College-Schülerinnen durch die von Weinranken überwucherten Säulengänge geleitete.
Seit einem Unfall mit einem Luftgewehr in seiner Kindheit war er auf einem Auge blind. Er hatte Koteletten und trug Cowboyhemden mit Druckknöpfen zu seinen Westernanzügen. Er war nur einmal unten in Sugarland gewesen, wegen einer unergiebigen Einbruchstour, die dann schiefgegangen war, weil sein Partner, ein Schwarzer, vom Dach ein Stemmeisen auf ein Gewächshaus hatte fallen lassen.
Aber Rodney hatte seine Lehre daraus gezogen: Bleib weg von den Dächern und versuch nicht, aus Wassermelonenpflückern erfolgreiche Fassadenkletterer zu machen.
Die Zeit auf der Sugarland Farm war die Sache nicht wert gewesen. Er hatte eine neue Masche entwickelt, eine würdevollere und lukrativere, bei der er nicht auf Hehler angewiesen war, die fünfzehn Cent pro Dollar kassierten. Eine Woche nach seiner Entlassung von der Farm landete er seinen Coup. Es war viel einfacher, als er gedacht hatte. Opfer war ein Rancher am Rand von Victoria, ein Angeberarschloch, der einen Cadillac mit einem Kuhgehörn auf der Motorhaube herumgefahren und gebrabbelt hatte: »Ich geb dir Geld, Junge. Du nennst den Preis. Schau, meine Frau kommt gleich aus dem Laden. Tu ihr nichts, okay ...« Dann hatte er zu zittern angefangen und sich wie ein Kind naß gemacht.
»Das zeigt uns wieder mal, daß Geld den Schniedel nicht gerade stählt«, erzählte Rodney später stolz seinen Freunden.
Und er sagte auch, daß der Fette zu blöd gewesen sei, je zu begreifen, daß seine Frau den Mord finanziert hatte. Und Rodney hatte ihm seine Illusionen gelassen. Warum auch nicht? Geschäft ist Geschäft. Da durfte man nichts persönlich nehmen, auch wenn der Typ das geborene Opferlamm gewesen war.
Ihre Probleme waren hausgemacht. Sie machten Schulden, stahlen Geld, sie betrogen ihre Frauen. Jeder suchte Gerechtigkeit auf seine Weise. Der Staat tat es mit Bahre und Spritze hinter einer Glasscheibe, während die Leute glotzten, als wären sie in einem Horrorfilm. Mann, war das krank!
Rodney duschte in der schmalen Blechkabine und zog ein frisches, langärmliges Hemd an, eines, das die eintätowierte Kette blauer Sterne um sein linkes Handgelenk verdeckte, begutachtete die vier Anzüge im Schrank und wählte den, der im Licht schillerte wie ein Stück poliertes Metall. Dann zog er ein neues Paar Cowboystiefel an, setzte einen weißen Cowboyhut auf und klappte den Rand schräg über sein blindes Auge nach unten.
Alles, was man tun mußte, war, am Eingang vom Alamo zu stehen, dann kamen die Leute von selbst und stellten einem Fragen. Kleider machten nicht die Person aus. Kleider waren die Person, sagte
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