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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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vergräbt, diesen ewigen Sarg, ohne den er sich nicht bewegen kann.
    Ein Heißhunger nach Vergnügen erwachte in dem Burschen. Er spielte in der Taverne, bis Cañamel ihn um Mitternacht hinaussetzte; er hatte sämtliche Getränke, die in der Albufera ausgeschenkt wurden, erprobt, einschließlich des reinen Absinths, den die Jäger aus Valencia mit dem übelriechenden Seewasser zu mischen pflegten, und mehr als einmal folgte ihm nachts der strenge Blick des Vaters, wenn er mit dem unsicheren Schritt und dem röchelnden Atemholen des Berauschten sein Lager in der Hütte aufsuchte. Der Großvater gab seiner Entrüstung offen Ausdruck:
    »Ganz in der Ordnung, daß ihm der Wein schmeckt. Wir liegen ewig auf dem Wasser, und da muß ein guter Kahnfischer den Bauch warm halten. Aber zusammengemischte Getränke? ... So fing der alte Sangonera an!«
    Nichts war von Tonets früherer Zuneigung zurückgeblieben. Er schlug Borda, für ihn nichts als ein unterwürfiges Tier, und wenn er Neleta überhaupt der Aufmerksamkeit würdigte, so erweckten ihre Worte bei ihm nur ein ungeduldiges Brummen. Dem Vater gehorchte er wohl noch, doch mit einer Miene, daß dieser heroische Arbeiter erbleichte und seine mächtigen Fäuste krampfte, als möchte er ihn in Stücke zerreißen. Der Bursche verachtete das ganze Dorf, diese elende, für Hunger und Mühsal geborene Herde, aus deren Reihen er um jeden Preis ausscheiden mußte; und zeigten heimkehrende Fischer stolz ihre mit Aalen und Schleien gefüllten Körbe, so reizte ihn das nur zum Lachen. Beim Vorübergehen am Pfarrhause sah er des öfteren auf der Schwelle Sangonera, der, im Augenblick den Büchern sehr zugetan, in die Lektüre einer religiösen Schrift vertieft war.
    »Dieser Einfaltspinsel! ...« zischte Tonet. »Als wäre an den Büchern, die ihm der Vikar leiht, etwas gelegen!«
    Ah, er selbst, er wollte leben, wollte alles Süße mit einem Schlage genießen! Und er bildete sich ein, daß alle Bewohner der reichen Dörfer jenseits des Sees und der großen, lärmenden Stadt ihm einen Teil der Lust und Wonnen raubten, die ihm rechtmäßig zustanden.
    Wenn in Anbetracht der hohen Löhne, zu deren Zahlung die Eigentümer wegen Arbeitermangels genötigt waren, aus allen Enden der Provinz Tausende zur Reisernte nach der Albufera strömten, söhnte er sich vorübergehend mitdem Leben in diesem Winkel der Welt aus. Er sah neue Gesichter und fand neue Freunde unter diesen fröhlichen Gesellen, die, ihre Sichel in der Hand und den Wäschesack auf der Schulter, von einem Ort zum andern wanderten, arbeiteten, solange die Sonne am Himmel stand, um zu zechen, sobald die Nacht hereinbrach.
    Diese Leute mit unruhiger Vergangenheit sagten ihm zu. Auch fand er ihre Erzählungen viel interessanter als die alten, am Holzfeuer der Hütten geraunten Geschichten. Einige der Männer waren in Südamerika gewesen und sprachen, dort durchgemachtes Elend vergessend, von diesen fernen Ländern wie von einem Paradies, wo jeder im Golde schwimmt. Andere schilderten ihren langen Aufenthalt in den wildesten Gegenden von Algier, am Saum der Wüste, wohin zu flüchten sie ein Messerstich gezwungen hatte, manchmal auch ein Raub, dessen ihre Feinde sie »fälschlich« beschuldigten. Und Tonet, ganz Ohr, glaubte in der kleinen, fauligen Brise der Albufera den exotischen Hauch dieser Märchenländer zu verspüren, sah in dem Blitzen der Tavernenfliesen ihre fabelhaften Reichtümer.
    Das Band zwischen ihm und den Landstreichern wurde so eng, daß er sie nach beendigter Ernte auf ihren wüsten Orgien durch alle dem See benachbarten Dörfer begleitete – ein irrsinniger Zug von Taverne zu Taverne mit nächtlichen Serenaden vor gewissen Fenstern, der meist mit einer allgemeinen Rauferei endete, wenn das Geld knapp wurde und sich Diskussionen entspannen, an wem die Reihe war zu zahlen.
    Eine dieser Exkursionen erlangte eine Berühmtheit in der Albufera. Sie dauerte eine Woche, während der Toni seinen Sohn in Palmar nicht zu sehen bekam. Man wußte nur, daß die Ruhestörer wie losgelassene wilde Tiere tobten, daß sie in Sollana einen Polizisten halbtot geprügelt und daß sich in Sueca zwei dieser Nichtsnutze bei einem Streit gegenseitig den Schädel eingeschlagen hatten. Schon nahm die Gendarmerie die Verfolgung dieser tollen Horde auf.
    Eines Abends benachrichtigte man Toni, daß sein Sohn soeben bei Cañamel eingetroffen sei, in schlammigen Kleidern, als wäre er in einen Kanal gefallen, die Augen entzündet von der

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