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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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meine Brüder«, sagte Gustav.
    Magdalena sah eine Frau vor sich, aber sie erinnerte sich nicht. Ein Hoftor sieht sie, und Schweine, und einen Heuwagen, aber ein Name fällt ihr nicht ein!
    »Sie kennt die Namen nicht«, sagte Gustav zu seiner Frau. Zu ihrem Rücken sprach er. Schmal und hart stand sie da und polierte immer noch das Glas, aus dem Gustav getrunken hatte.
    »Im Krieg habt ihr euch satt gefressen im Haus meiner Geschwister! Aber das Kind weiß nicht, wer sie sind?«
    » Da bist du also schon gewesen«, sagte sie nur. »Das war dein erster Weg?«
    Es klang spöttisch.
    »Du weißt jetzt, wer dein Vater ist«, sagte Gustav zu seiner Tochter, »aber weißt du auch, was dein Vater im Krieg gemacht hat? Weißt du das?«
    »Hör auf«, sagte Giese, aber sie blieb am Spülstein stehen wie festgewachsen. Ihr Blick ging hinaus, als warte sie auf jemanden.
    »Soldat war ich«, fuhr Gustav unbeirrt fort, »weißt du, was Soldaten sind?«
    »Lass das Kind«, sagte Giese. »Das Kind weiß nichts.«
    Aber doch, Mutter! Das weiß Magdalena!
    Das waren die fröhlichen Männer, die durch die zerbombten Straßen gezogen sind, als sie mit Konstantin und der Mutter auf einer kleinen Fähre den Fluss überquert hatten. »Rückkehr«, nannte die Mutter das. Konstantin hatte ein Bündel mit Kleidern auf den Rücken geschnallt, die Mutter trug einen Koffer und eine Handtasche. Mehr besaßen sie nicht mehr. Ein totes Pferd trieb auf dem Wasser. Am anderen Ufer stand eine Gruppe amerikanischer Soldaten. Einer strich Magdalena über den Kopf und drückte ihr etwas in die Hand, das aussah wie dickes Papier.
    »Kennst du?«, fragte der Mann.
    Magdalena schüttelte den Kopf.
    »Essen«, sagte der Mann und deutete auf seinen Mund.
    Magdalena hielt ihm das Ding hin.
    »Nein«, lachte er. »Du!«
    Er packte das Ding aus (es sah immer noch aus wie zu dickes Papier) und schob es ihr in den Mund.
    »Beißen«, sagte der Mann und machte Kaubewegungen.
    »Tschuing Gam«, sagte der Soldat, lachte noch einmal und ging wieder zurück an seine Arbeit.
    »Soldaten töten«, knurrte Gustav und holte Magdalena damit wieder zurück in die Küche der Mutter.
    »Gustav«, sagte Giese.
    Ganz dicht vor Magdalena war sein Gesicht: »Ich war im Krieg und musste eine Waffe tragen. Weißt du, was ich gesehen habe, während deine Mutter mich verschwiegen hat?«
    Jetzt sprach er zu Giese: »Kannst du dir das vorstellen? Hier, in deinem geheizten Haus, oder dort, bei meiner Familie, die dich aufgenommen hat, obwohl du nichts anderes zu tun hattest, als sie schlechtzureden? Weißt du, was ich getan habe, all die Jahre?«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Nein, das willst du gar nicht wissen. Aber ich habe gesehen, wie sie getötet wurden. Kinder. Aufgereiht am Straßengraben. Ja, davon hast du gehört in der Zwischenzeit. Ihr habt ja alle Radio jetzt.«
    Er betrachtete seine Tochter.
    »Hier sollte wohl niemand wissen, was der Vater für einer ist, nicht wahr, Giese?«, fuhr er fort. »Hast gehofft, der kommt nicht wieder, der Versager.«
    Von draußen klangen Kinderstimmen.
    Viele Monate hatte er sich die ersten Worte an seine Familie zurechtgelegt. Nachdem es Grund gegeben hatte für die Hoffnung auf Heimkehr. Nachdem er sich entschieden hatte, auf die Heimkehr zu hoffen. Briefe zu schreiben wie die andern hatte er nicht gewagt. Er hatte die Aussicht auf Versöhnung behalten wollen. Erst mal heimkommen, dann wird sich alles finden. Hatte sich ausgemalt, wie groß sie waren, die Söhne, und wie das Mädchen aussah, seine Jüngste. Deren Arm er jetzt eisern umklammert hielt.
    Seine Stimme wurde laut, den nächsten Satz, den wichtigsten, den schrie er fast. »Aber danebengeschossen hab ich, hörst du? Daneben. Ich hab keinen getötet, nicht einen!«, rief er schrill, und wie böse das klang – und wie verzweifelt.
    Die Brüder betraten lachend die Küche, noch immer zogen sie den Ballen mit der Flickwäsche hinter sich her. Sie sahen die Mutter am Fenster stehen und die Schwester ­zusammengesunken am Boden kauern. Und dann verstummten sie, als sie den fremden Mann sahen und die Mutter auf ihren fragenden Blick hin nickte und sie in dem fremden Mann ihren Vater erkannten, der auf dem Küchenhocker saß in einer Haltung, als hätte ihn einer erschlagen.
    Konstantin blieb erschrocken stehen. Die Schnur, die er an die Wäschestücke gebunden hatte, fiel ihm aus der Hand und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem blankgeputzten Boden auf. Die

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