Suna
Päckchen von Märthe entgegen.
»Vielen Dank, Märthe«, sagte sie leise.
»Ach was, Lenchen, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Komm bald wieder.«
»Mach ich«, sagte sie, und schon war sie verschwunden, durch die Mauer, zurück auf den eigenen Hof. Sie drehte sich zu Märthe um und winkte noch einmal, das Päckchen fest an sich gedrückt. Auch Märthe hatte den Arm gehoben, aber mitten in der Bewegung hielt sie inne. Sie schaute an Magdalena vorbei, ein sonderbarer Ausdruck lag in ihren Augen, als hätte sie einen Geist gesehen. Magdalena folgte ihrem Blick. Auf der Straße direkt vor ihrem Haus stand ein Mann und betrachtete sie. Einen verschlissenen Anzug hatte er an, in der rechten Hand hielt er einen Hut, in der linken eine abgeschabte Ledertasche. Sein Gesicht sah aus wie eine Maske. Nur die Schuhe glänzten, trotz der staubigen Straße. Magdalena wich einen Schritt zurück.
»Gustav«, flüsterte Märthe.
Der Mann öffnete das Hoftor. Kein Wort der Begrüßung kam über seine schmalen Lippen. Er ging auf das Kind zu. Magdalena stand wie angewurzelt.
Da spürte sie jemanden hinter sich. Die Mutter. Sie sah an ihr hoch und erschrak. Ihre Augen sind kalt. Magdalena versuchte, sich hinter der Mutter zu verstecken, die aber stieß sie weg.
Der Mann blieb direkt vor Giese stehen, stellte seine Tasche auf den Boden und hatte die rechte Hand schon halb ausgestreckt, um sie zu begrüßen.
»Frau«, sagte er.
Giese starrte ihm reglos in die Augen. Dann machte sie ohne ein Wort auf dem Absatz kehrt und sah Magdalena auf der Treppe stehen. Für einen kleinen Moment hielt sie inne. Dann richtete sie sich auf, zog ihre Strickjacke vor der Brust zusammen und sagte tonlos:
»Geh und begrüße deinen Vater.«
Der Mann reichte noch immer einem unsichtbaren Gegenüber seine Hand.
Gustav betrat schließlich das Haus und durchmaß mit schweren Schritten jeden Raum. Giese und Magdalena folgten ihm in gebührendem Abstand. Er öffnete jede Tür, sogar den Wäscheschrank. Er schob seine rechte Hand zwischen die glattgebügelten Laken, verharrte so für einen Moment, ließ seine Finger anschließend über die (unbenutzten) französischen Damasttischdecken gleiten und schloss die Flügeltüren leise und bedächtig.
»Du hast sie aufgehoben«, sagte er.
»Du hast sie mir geschickt«, sagte Giese trocken.
Schließlich betrat er das Schlafzimmer. Die Mutter blieb mit Magdalena auf der Türschwelle stehen.
Gustav ging um das Ehebett herum, hinüber zu Magdalenas Seite. Mit spitzen Fingern griff er nach der Kinderdecke und schlug sie zurück. Dann hob er das Kopfkissen hoch und legte es auf einen Stuhl.
»Herrichten«, sagte er. »Das Mädchen schläft oben.«
Er wandte sich zur Tür, um auf den Flur hinauszutreten.
Giese nickte und machte ihm wortlos Platz, die Hände hatte sie Magdalena von hinten auf die Schultern gelegt, ihre Finger bohrten sich in Magdalenas Schlüsselbein. Sie schob das Kind wie einen Schild zwischen sich und ihren Ehemann.
»Hast du Kaffee?«, sagte er, halb auf der Treppe nach unten, und nun hörte es sich eher wie eine Frage an.
»Ich geh schnell zu Märthe«, flüsterte Magdalena, da don nerte der Vater: »Wir betteln nicht«, und verlangte Wasser.
»Bring ein Glas Wasser«, sagte Giese leise zu Magdalena.
Eine Hand streichelte dabei in ungewohnter Weise das Haar des Kindes. Magdalena löste sich von der Mutter, nahm ein Glas vom Küchenbord, ging hinüber zum Spülstein und füllte es mit abgekochtem Wasser aus dem Porzellankrug.
Der Vater setzte sich auf den Küchenhocker, kerzengerade. Zwischen den Eltern stand der kleine Küchentisch mit seinen Schubladen für Klammern und Nägelchen, Randstreifen von alten Zeitungen für Notizen, den winzigen Stückchen Kandiszucker und den Bleistiftstummeln, von denen keiner länger war als vier Zentimeter, in diesen Zeiten ein Schatz.
Magdalena trug das Glas zum Tisch und stellte es ab, ohne etwas zu verschütten.
»Komm her«, sagte Gustav zu Magdalena, nachdem er das ganze Glas Wasser hinuntergestürzt hat. Giese nahm es vom Tisch, trug es zum Spülstein am Fenster hinüber und rieb es mit mechanischen Bewegungen sauber.
Magdalena näherte sich vorsichtig.
»Du bist also meine Tochter«, sagte er.
Magdalena nickte scheu.
»Kennst du denn deine Familie?«, fragte er.
»Mutter, Konstantin, Frieder und Vater sind meine Familie«, sagte Magdalena. Sie hoffte, dass er die winzige Pause vor dem Wort Vater nicht gehört hat.
»Jetzt
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