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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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machen.«
    »Sie kann bei uns essen und dir bringt sie was mit«, sagte Märthe ruhig.
    Die Mutter schwieg.
    »Ist gut«, sagte sie schließlich, »die Jungens sind zum Bauern gelaufen, Flickwäsche bringen.«
    Märthe winkte hinauf, dann kam sie zurück in die Küche.
    »Nachher kochen wir und dein Kleidchen hängen wir jetzt direkt hier am Ofen auf, so dass keiner es entdecken kann, einverstanden?«
    Nach dem Essen holte Märthe die Kinderbibel vom Regal und gab sie Magdalena. Als sie noch kleiner gewesen war, vor der Evakuierung, hat Märthe Magdalena die Geschichten vorgelesen, inzwischen bestand Märthe darauf, dass sie selbst las. »Damit du es besser lernst, Lenchen.« Eigentlich müsste sie das schon lang können, aber weil sie so wenig Zeit hatte zum Lernen, war sie weit hinter den anderen Kindern zurück.
    Manchmal hatte Magdalena morgens Angst vor der Schule, sogar Bauchschmerzen hatte sie, wie die Mutter.
    »Wird schon kein Krebs sein«, sagte Giese stets und schob das Kind zur Haustüre hinaus. »Und wie du sehen kannst, Krebs bringt dich nicht um.«
    Die Mutter hatte nur noch einen halben Magen, und als Magdalena klein gewesen war, hatte sie sich vorgestellt, da säße ein Tier, ein leibhaftiger Krebs in der Mutter und hätte ihn weggefressen. Nein, das seien Ärzte gewesen, sagte die Mutter und lachte mal wieder über die Dummheit ihrer Tochter.
    »Schnipp, schnapp weggeschnitten, direktemang nach dem letzten Kriege«, sagte sie. Wenn sie gute Laune hatte, erzählte sie dann wortreich von der Narkose und wie sie die ganze Zeit über kotzen musste davon. »Wie ein krankes Kamel«, sagte sie. »Der Kartoffelsalat schmeckte uns allen im Saal rauf wie runter.«
    Wenn sie zu der Stelle in der Geschichte kam, an der sie die Letzte Ölung erhalten hatte, lachte sie aus vollem Hals.
    »Hat aber nicht geklappt mit dem Sterben. Unser Herrgott wollte mich noch nicht bei sich haben. Dafür habe ich zwei Kriege erlebt und geblieben sind mir drei Kinder, ein halber Mann und ein halber Magen«, sagte Giese immer.
    Und dann wies sie die Kinder rasch an, etwas Sinnvolles zu tun, für die Schule oder im Haushalt, und der Moment war verflogen.
    Niemals sonst sprach die Mutter vom Vater. In der Schule gab es viele Kinder, die keinen Vater mehr hatten. Gefallen seien die.
    Als Magdalena das Wort das erste Mal hörte, dachte sie, die Väter seien gefallen, so wie sie selbst beim Spielen fiel.
    »Bist du gefallen?«, fragte Märthe, wenn sie mit einer aufgeschürften Stelle ankam. Aber diese Väter hatten mehr als ein blutendes Knie.
    »Die kommen nie mehr wieder«, sagten die Kinder.
    »Mein Vater ist auch nicht wiedergekommen«, sagte sie dann, aber da sagten die anderen besserwisserisch, dass Magdalenas Vater »in Gefangenschaft« sei, und ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass das weniger wert war, als gefallen zu sein.
    Magdalena las in Märthes Küche, mit Märthes Essen im Bauch, geborgen in Märthes Geschäftigkeit. Am liebsten die Weihnachtsgeschichte, auch im Hochsommer. Sie las andächtig die altmodischen Sätze und besonders die Stelle, als Maria ihr Kind im Stall zur Welt bringen musste, weil »nirgendwo Platz in einer Herberge für sie war«. Dieses Gefühl kannte Magdalena, aber da darf sie nicht dran denken, sonst weiß sie wieder nicht, was sie in der vergangenen Stunde gemacht hat.
    Wilhelm kam zur Tür herein, lehnte sich an den Türrahmen und hörte die letzten Worte des Abschnitts mit. »Maria aber bewahrte alle ihre Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.«
    »Schön hast du gelesen«, sagte Märthe fröhlich. »Wird immer besser.«
    Sie nahm das Buch und stellte es zurück ins Regal.
    »Was baust du heute?«, fragte Magdalena.
    »Einen Schrank für Schulte«, sagte Wilhelm und rieb sich sein Knie, als würde es schmerzen. Er war nicht eingezogen worden, weil er im Ersten Weltkrieg einen Streifschuss abbekommen hatte.
    »Ist Schulte wieder da?«, fragte Märthe überrascht.
    »Ich weiß nicht, seine Frau hat mir den Auftrag gegeben. So, jetzt aber wieder zurück an den Hobel«, sagte er fröhlich, verbeugte sich elegant vor Magdalena und verschwand hinaus. »Dein Kleidchen ist trocken«, sagte Märthe und reichte es dem Kind.
    Wie neu sah es aus, und wie es duftete!
    Märthe drehte sich zum Herd und packte für Giese etwas vom Mittagessen ein. Rasch zog Magdalena sich das Kleid über und legte die Decke wieder ordentlich zusammen. Ihre Kakaotasse stellte sie an den Spülstein, dann nahm sie das

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