Suna
an.
»Bete, wenn du das kannst«, sagte er.
Julka hat ihr Schicksal klaglos angenommen. Nach ihrer Lungenentzündung stellte man fest, dass ihr linker Sehnerv durch das Penicillin, das sie am Leben erhalten hatte, irreparabel geschädigt war. Im Moment konnte sie noch sehen, aber wenn sie älter werde, sagte der Arzt, könnte das linke Auge so schwach sein, dass es sich womöglich selber abschaltet.
»Was soll das heißen, das Auge schaltet sich ab?«, fragte Julka.
»Das kannst du dir nicht vorstellen«, sagte er zu ihr, aber die Kleine wollte es ganz genau wissen.
Also setzte sich der Arzt hin und malte auf ein Blatt Papier den Querschnitt eines Auges. Er zeichnete Sehnerven und Muskeln und erklärte dem Mädchen, wie das Bild auf der Netzhaut entstand und welchen Weg das Licht durch den Glaskörper nahm. Er zeigte ihr, wie die Pupille schmaler und weiter wurde, je nachdem, wie hell es war. Dazu ließ er sich von ihr mit einer Lampe ins Auge leuchten, und Julka konnte nicht genug davon bekommen.
»Das Auge geht abends manchmal zur Seite«, erklärte Julka dem Arzt.
»Das ist, weil du müde bist und keine Kraft mehr hast, es festzuhalten«, sagte er.
»Dich kann man gut zum Hühnerhüten gebrauchen«, scherzte Milo.
»Warum denn?«, fragte Julka.
»Weil du in zwei Richtungen gleichzeitig schauen kannst«, sagte Milo lachend und strich ihr über den Kopf.
Ilija sah seine Tochter an und fand sie wunderschön. Biljana hingegen machte sich Sorgen. Noch war es so, wie der Arzt gesagt hatte. Nur wenn das Kind müde war, wanderte das Auge zur Seite, aber allein das fanden manche Dorfbewohner schon so beängstigend, dass sie von Hexerei sprachen und manchmal sogar die Straßenseite wechselten, wenn Julka gerade daherkam. Dass Ilija sie vom Misthaufen geholt hatte, womöglich aus dem Jenseits zurück unter die Lebenden, machte die Sache nicht gerade besser für Julka.
In der Schule durfte sie ganz vorne sitzen. Der Lehrer war sehr zufrieden mit ihr, er schlug den Eltern vor, Julka auf die Schule in der Stadt zu schicken, damit sie richtig lernen konnte.
»Ich will Ärztin werden«, sagte sie, als sie zehn wurde.
»Das glaube ich, meine Schöne«, sagte Biljana zärtlich.
»Möchtest du lieber Tierärztin werden oder eine für Menschen?«
»Für Menschen«, erwiderte sie lachend, »das weißt du doch.«
Biljana beriet sich abends mit ihrem Mann, einen ganzen Sommer lang.
»Was sollen wir machen, Ilija?«, fragte sie, und das war die Einleitung für das immer gleiche Gespräch.
»Wir haben kein Geld übrig für die Schule«, sagte Ilija.
»Sie kann bei Edita wohnen«, sagte Biljana.
»Aber wer bezahlt die Bücher? Die Kleider?«
Daraufhin schwieg Biljana.
»Ich liebe dich«, sagt Biljana schließlich, und das sollte heißen, es würde schon eine glückliche Wendung geschickt werden, vom Himmel oder egal von wo, sie würde sie annehmen für ihr Kind.
»Ich liebe dich auch.«
Milo und Ilija waren auf dem Weg in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Benzin gab es gerade keins im Dorf, und Milo hoffte, in der Stadt welches aufzutreiben. Milo schob sein Moped (das noch immer glänzte, als käme es soeben erst aus der Fabrik) neben sich her.
»Ein Bauer, wie du einer bist, wird nicht mehr satt«, sagte er zu Ilija. »Und einer wie ich kann schon gar nichts mehr fressen, es sei denn, er hat einen Schwager wie dich.«
Ilija tat sich schwer mit den neuen Zeiten. Gleich nach dem Krieg hatten sie seine Grundstücke schon haben wollen.
»Nicht mit mir«, hatte er damals gesagt und sich den zuständigen, sehr jungen Beamten bei einem ordentlichen Essen vorgeknöpft.
»Wenn ich«, hatte er gesagt, »wenn ich also schon ein Jugoslawe sein soll und kein Serbe mehr«, hier war der Beamte merklich zusammengezuckt, »dann kannst du nicht zugleich verlangen, dass ich kein Bauer mehr bin.«
Der Beamte schrieb in sein Buch.
»Hast du gekämpft?«, fragte Ilija, wobei er sein Gegenüber mit seinem Blick auf dessen Sitz festschmiedete.
Der Beamte schüttelte den Kopf.
»Aber ich«, sagte Ilija. »Und willst du wissen, was ich da gelernt habe?«
Wieder schüttelte der Beamte den Kopf, überlegte es sich aber rasch anders und nickte.
»Ich habe gelernt, wie man einem Mann so die Eingeweide herausschneidet, dass er noch ziemlich lange weiterlebt.«
Mehr war nicht nötig, und Ilija und alle seine Nachbarn erhielten eine Ausnahmegenehmigung, die besagte, dass sie ihre Felder weiterhin bewirtschaften durften und sich der
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