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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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viele Wochen sind es noch, bis das Schuljahr beginnt?«
    »Was hat das Schuljahr zu tun mit …«, da endlich begriff Ilija.
    Er sah seine Frau scharf an.
    »Was hast du ihm versprochen?«
    »Dass wir seinen Kartoffelacker bewirtschaften.«
    »Mehr nicht?«
    »Mehr nicht.«
    Ilija sah ihr ins Gesicht und schämte sich für seinen Gedanken.
    »Warum hilft er uns? Schon vor Jahren und jetzt wieder?«
    »Frag ihn doch selber.«
    »Ich frage dich«, sagte Ilija.
    »Er sagt, es sei Wiedergutmachung für irgendeine Geschichte von früher«, sagte Biljana. »Und weißt du was, Ilija? Ich schäme mich. Ich schäme mich, weil ich ihn angespuckt habe und beschimpft, als er kam, um unserem Kind zu helfen. Ich schäme mich so sehr, dass ich auch dann hier stehen würde und Kartoffeln hacken, wenn mich der Nachbar fragt, der seinen Rücken nicht mehr beugen kann und keine Kraft mehr hat in den Armen. Drauf geschissen, dass er Kroate ist und wir Serben, und alle zusammen sollen wir Jugoslawen sein. Ich sage, wir sind Menschen. Einer wie der andere.«
    »Wie viel hat er dir gegeben?«
    »So viel wie wir brauchen.«
    Ilija bückte sich und hob eine Handvoll trockenen Staubs auf.
    »Hier sollen Kartoffeln wachsen?«
    Biljana nickte.
    »Dann haben wir eine Menge zu tun.«
    Am Tag, als der Regen kam, waren die Kinder bei Edita in der Stadt zu Besuch. Es war ein Sonntag. Ilija und Biljana saßen in der Kirche nebeneinander, wie immer lag Biljanas Kopf an Ilijas Schulter und wie immer achtete er sehr genau darauf, dass das Gebetbuch in seinem Schoß nicht ­verrutschte. Biljana war müde und schlief beinahe ein. Ilija betrachtete seine Frau mit Sonntagsaugen, wie er es nannte. Sonntags war sie bei ihm und nur bei ihm, manchmal sagte sie ihm das sogar ins Ohr. Heute saß sie still in der Kirchen­bank.
    »Ich küsse dich«, sagte er zu ihr.
    »Ich küsse dich zurück«, flüsterte sie.
    Er legte seinen Arm um ihre Schultern und fühlte, wie sie sich an ihn schmiegte.
    Als sie nach Hause kamen, sagte Biljana: »Ich gehe noch einmal kurz hinaus.«
    »Ich komme mit«, sagte Ilija und schlüpfte schon aus seinem Sonntagsanzug. Seine Unterhose schlotterte um seine dünnen Schenkel.
    »Nein«, sagte Biljana, die lachen musste, »du sollst hier sein, wenn Edita kommt und die Kinder bringt.«
    Biljana ging, an der Tür drehte sie sich jedoch noch einmal nach ihm um. Er hörte ihre Schritte innehalten und sah auf. Sie betrachtete ihn. Dann ging er auf sie zu, ohne den Blick abzuwenden, nahm sie in die Arme und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss. Warm war sie und weich, sanft und bedacht. Sie löste sich von ihm, schob ihn auf Armeslänge von sich weg und sagte: »Ilija, ich habe keinen Tag mit dir bereut. Keinen einzigen. Damit du das weißt.«
    Bevor er antworten konnte, war sie hinausgegangen und hatte die Haustüre leise geschlossen.
    Eine Stunde später begann es zu regnen. Es war kein gewöhnlicher Regen. Niemand im Dorf hatte jemals zuvor so einen Regen erlebt.
    »Regen zum Schneiden«, sagten die Frauen später, wie Stoff sei er gewesen.
    Der Himmel war schwarz vor Wolken, die niemand hatte heraufziehen sehen. Innerhalb weniger Minuten waren die Fahrwege in Bäche verwandelt. Gegen Mittag hatte das erste Haus im Dorf ein kopfkissengroßes Loch im Dach, durch das es hineinregnete.
    »Ich muss nach Biljana sehen«, dachte er.
    Im Entwässerungsgraben neben ihm schoss das Wasser nur so dahin. An manchen Stellen trat es bereits über die Ufer und überströmte den Weg, so dass Ilija stürzte, als er mit dem Fuß in eine Rinne trat, die das Wasser aus dem unbefestigten Weg ausgewaschen hatte.
    Die ersten Blitze schlugen in der Nähe ein. Es donnerte ohrenbetäubend. Nur noch wenige Meter trennten ihn von Dragans Feld, und bei jedem Schatten, der ihm aus dem Regen entgegenkam, hoffte er, es sei Biljana.
    Von Dragans Feld war nichts mehr zu sehen. Der Fluss war über die Ufer getreten und hatte den Acker überflutet. Ilija stand fassungslos auf der Landstraße und starrte auf die braunen Wassermassen, die sich in zähen Wirbeln über Dragans Kartoffelacker wälzten. Ein Blitz zuckte über den Himmel und erhellte für Sekunden den See, der sich vor Ilija ausbreitete, und da sah er ungefähr dreißig Meter entfernt mitten in den Wassermassen eine schwarze Gestalt in gebückter Haltung kauern, so als sei sie noch mitten in der Feldarbeit.
    »Biljana!«, rief er, aber er wusste, dass sie ihn unmöglich hören konnte.
    Er kam nicht an gegen den

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