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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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sehen, ein schiefes Gatter trennt den Hof von der Straße, damit die Hühner nicht weglaufen können, wenigstens nicht so leicht.
    In der Nacht von Julkas Geburt müssen die guten Geister einen weiten Bogen gemacht haben um Ilijas Hof, jedenfalls überließen sie Biljana im Kampf mit den Wehen sich selbst. Das Feuer im Ofen war beinahe heruntergebrannt, und im Korb war kein Brennholz zum Nachlegen mehr übrig. In einer Kammer neben der Stube schlief das ältere Kind. Ilija saß neben dem Geburtsbett, das Gesicht in die Hände vergraben.
    »Nur bis Mitternacht, die packt ’ s nicht«, hat die Hebamme gesagt und ein Zeichen gemacht, als würde sie sich den Hals durchschneiden. Ilija dachte an die Kuh, die er vergangene Woche beim Kalben verloren hatte.
    »Wir bringen es zu Ende«, sagte Biljana kreidebleich zwischen zwei Wehen. Schweißnass war sie, von einer Wehe in die nächste geworfen, Wehen von der Sorte, die nichts bewirken außer Schmerzen.
    Julkas Eltern bewirtschafteten einen kleinen Hof nahe der ehemaligen serbisch-kroatischen Grenze, Ilijas Haus war das letzte an der Hauptstraße. Noch weiter draußen lebte nur Dragan, der war Kroate. Es war im Dorf auch fünf Jahre nach dem letzten Weltkrieg keine einfache Sache mit der Zugehörigkeit, weil jeder eine Vergangenheit hatte in diesem Jahrhundert. Nicht immer war sicher, welche noch galt.
    Am Ende der Nacht war das Kind doch noch geboren. Zusammen mit der Fruchtblase, was eigentlich ein seltenes, gutes Omen ist. Die Hebamme nahm erschöpft das weiße Bündel hoch und klatschte mit aller Kraft auf den kleinen Po.
    Es atmete nicht.
    »Das Kind oder sie, ich hab’s ja gesagt«, murmelte sie.
    Die Nachgeburt kam rasch, und zusammen mit der Plazenta packte die Alte das kleine reglose Mädchen und trug es ungerührt an Ilija vorbei, hinaus auf den Misthaufen.
    Das Feuer im Ofen war beinahe erloschen.
    Niemand sprach.
    Ilija stand schließlich auf, nahm den leeren Brennholzkorb mit seinen großen rauen Händen und ging schweren Schrittes nach draußen. Schon zweimal hatte Biljana geboren, seit sein Ältester zur Welt gekommen war, und beide Male hatte es keine Taufe gegeben. Doch so traurig Ilija auch war, seine Ohren waren gut.
    Ohne Korb und nur im Unterhemd kam er in das Geburtszimmer zurück. Er ging, ganz vorsichtig, zu Biljana. In den Armen hielt er ein Bündel, etwas, das er in sein Hemd eingewickelt hatte. Es war das kleine Mädchen, das einen leisen, langgezogenen Ton von sich gab und seinen Vater mit großen Augen ansah.
    »Julka«, sagte er zärtlich.
    Julka lebte die ganze Nacht.
    Sie lebte noch am folgenden Morgen und am Mittag hatte sie es geschafft, der Brust ihrer Mutter mehr Milch zu entlocken, als es Jahre zuvor ihrem Bruder Marek gelungen war. Ilija wich keinen Moment von Biljanas Seite.
    Nach vier Tagen verscheuchte sie ihn.
    »Geh raus, du alter Esel«, schimpfte sie, »wer soll die Ziegen füttern, wenn du hier sitzt und meine Brüste anstarrst!«
    Ertappt schlich Ilija davon.
    In den ersten Monaten sah Biljana nur ihre Tochter. Nachts legte sie sie nahe bei sich zum Schlafen, gab ihr die Brust, wenn sie weinte, manchmal noch bevor das Kind danach verlangte.
    »Du verziehst sie«, sagten die Leute, »eine Hexe machst du aus ihr, wenn du sie dauernd fütterst«, sagte Ilijas Schwester Edita.
    »Satt soll sie sein«, sagte Biljana lachend, »einfach satt.«
    Am Abend vor Julkas siebtem Geburtstag stand Ilija auf dem Feld und schwitzte.
    Ungewöhnlich rasch war der Sommer gekommen, nach einem ungewöhnlich feuchten Frühling. Die Kartoffeln verschwanden beinahe unter dem Unkraut, »als würden nachts heimlich die Erdgeister an ihnen ziehen«, sagte Biljana oft, wenn sie abends vor dem Schlafengehen noch für einen Moment zusammen vor dem Haus saßen.
    Immer nahm Ilija sich am Vorabend ihres Geburtstages Zeit für Julka und erzählte ihr von der Nacht, in der sie geboren worden war. Je älter das Kind wurde, umso mehr schmückte er die Geschichte aus, so dass Biljana lächelnd mit ihm schimpfte und sagte, er würde ihr noch gänzlich den Kopf verdrehen, indem er sie zu etwas Besonderem machte.
    »Ganz normal bist du herausgeschlüpft«, sagte sie augenzwinkernd zu Julka, »genau wie ein Ziegenjunges.«
    »Nicht ganz«, sagte Ilija dann zu seiner Tochter, strich ihr zärtlich über den Kopf und küsste ihre leuchtenden Augen – aber sein Einwand wurde beiseitegeschoben von Biljanas Entschlossenheit, das Kind »nun aber endlich« ins Bett zu

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