Suna
winzigen Club-Konzerten in Mitte, zu denen es exklusive Einladungen samt Passwort per E-Mail gab. Oft fuhr ich danach mit dem Auto raus an einen See, der mich an früher erinnerte und an Tom, besonders dann, wenn gegen Morgen die Nebelschwaden über das Wasser hinwegzogen und die ersten Boote vorüberglitten.
Am Fensterbrett meiner Einraumwohnung zog ich Tomaten, wie alle, und ich begann damit, in den Fragmenten meiner Biographie nach Pointen zu suchen.
»Halb türkisch und halb restjugoslawisch« war so eine, und Lacher brachten auch die Ravioli, die im Kofferraum meiner Eltern nach Italien gereist waren.
Man kann eine Weile so leben, unerkannt, und am Ende weiß man nicht mehr, ob man eine Raupe ist oder der Ast, den sie versucht zu imitieren.
Zwei oder drei Wodka, und da war sie, die glänzende Unterhalterin. Die sich für nichts zu schade war, weil sie unbedingt hören wollte, wie einer sagte »du bist aber souverän mit deiner Geschichte«, und immer mehr Preisgabe nötig war, bis wieder einer den Satz sagte.
Und danach die Vormittage, an denen ich matt und ausgelaugt auf meinem Bett lag und mich an den Abend zuvor erinnerte, als hätte ich die ganze Zeit über beim Sprechen geschrien.
Ich schrieb mir groß auf DIN -A4-Blätter: nichts über dich erzählen. Deine Geschichte ausklammern. Mehr sein als deine Geschichte. Leise sein. Einfach danebensitzen wie die anderen.
Dann blieb ich für ein paar Tage zu Hause oder für ein paar Wochen und bestellte online Essen beim Supermarktlieferservice, bis ich es nicht mehr aushielt und wieder losging und gleich bei der ersten Gelegenheit wieder die Frage kam: »Wo kommst du her?«, und ich dachte, ich darf nicht lügen, also sage ich die Wahrheit, und abermals saß ich mittendrin und hatte ein Podium und Zuhörer.
Einer davon war ein Tontechniker mit norwegischen Wurzeln, der ansonsten nicht viel sprach und bei seinem ersten Besuch in meiner Wohnung ratlos vor meinem Kühlschrank stand (ich nutzte ihn als Bücherregal). Er schob meine Instant-Nudelgerichte beiseite und kaufte Töpfe. Dann ging er dazu über, abends mit Papiertüten voller Fleisch und Rotwein bei mir aufzukreuzen, und eines Tages kaufte ich eine zweite Bettdecke.
Ich begleitete ihn zu seiner Arbeit an einem kleinen Off-Theater und lernte ein paar Leute kennen, die Autoren brauchten für ihre Stücke. Ich nutzte meine schlaflosen Nächte.
Wir gingen unsere Beziehung reflektiert an, trafen uns an den geraden Tagen des Monats bei ihm und an den ungeraden bei mir. Wir stritten nicht, sondern legten einander unsere Standpunkte dar und diskutierten mit vorher vereinbarten Redezeiten. Wir analysierten unsere Biographien unter der Berücksichtigung zeitgeschichtlicher Aspekte und irgendwie auch gesamtgesellschaftlich, ich nahm zehn Kilo zu in einem einzigen Sommer und außerdem erwogen wir eine Eheschließung.
Genauso machten wir das: Wir erwogen eine Eheschließung, trocken und intellektuell. Alles andere wäre uns kitschig vorgekommen.
Mein erstes Stück hieß »Ravioli im Kofferraum« und wurde in der Zeitung besprochen. Das zweite hieß »Blockflötenvorspiel« (es gab Kartoffelsalatrezepte im Programmheft) und war ein Reinfall. Für das dritte gab ich mir wieder mehr Mühe. Am Premierenabend von »Halb türkisch und halb restjugoslawisch« sah ich den Norweger eine andere küssen.
Ich ging nach Hause und ließ den Schlüssel von innen stecken, damit er nicht in die Wohnung konnte, und blieb im Flur sitzen, falls ich es mir anders überlegen würde. Aber er kam nicht. Die ganze Woche nicht. Ich suchte seine Sachen zusammen und packte sie in meine Reisetasche. Die stellte ich nach weiteren Nächten des Wartens vor meine Wohnungstür. Dann packte ich alles wieder aus und stopfte es in Plastiktüten und starrte sie wütend an.
Ich hatte eine leise Ahnung, dass nicht der Norweger falsch war. Sondern meine Annahmen über die Dinge. Dass »Eheschließung« keine Form war, in die ich mich hätte gießen können und schon irgendwie hineingepasst hätte.
Ich hätte nicht auf den Mount Everest klettern können, nur weil es überhaupt jemanden gab, der das konnte, oder weil es innerhalb der menschlichen Möglichkeiten lag. Und doch hatte ich so gedacht. Ein neues Etikett aufkleben, und schon wäre Luisa Wackermann zu dem in der Lage, was auf dem Etikett steht. Wenn es gut getextet ist, warum nicht?
Irgendwelche Austräger schoben täglich Werbung durch den Briefschlitz an meiner Tür, so dass die Tüten
Weitere Kostenlose Bücher